Die alte Weltordnung

■ Haitis verlorene Demokratie

Die alte Weltordnung Haitis verlorene Demokratie

Alles bleibt beim alten. Die Militärjunta in Port-au-Prince bleibt an der Macht, Haitis frei gewählter Präsident Aristide bleibt im Exil, die Bevölkerung des ärmsten amerikanischen Staates bleibt von Angst gelähmt, die internationale Diplomatie bleibt untätig. Von neuem Denken oder neuer Weltordnung nichts zu spüren. Haiti hat weder Öl noch Geld, um welches zu importieren. Sein wirtschaftliches Gewicht: Es produziert für den US-Markt Baseball-Bälle. Und die Ausbeutung von Menschen anstelle von Rohstoffen erfordert, so scheint es, keine politische Sensibilität. So fällt Haiti jetzt — wie man den US-amerikanischen Kommentaren entnehmen kann — seinem Demokratiewillen zum Opfer. Man könne Aristide nicht zurück an die Macht lassen, da er in der Vergangenheit Neigung gezeigt habe, seine Popularität zu seinen eigenen Gunsten auszunutzen und damit seine Gegner zu erschrecken, heißt es fast wörtlich in der liberalen Hauptstadtzeitung 'Washington Post‘. Eine eventuelle Rückkehr des gestürzten Präsidenten würde solche Freudentaumel auslösen, daß die Putschisten möglicherweise um ihr Leben fürchten müßten. Und außerdem: In der neuen Welt von heute, jenseits des Ost-West-Konflikts, seien ausländische Interventionen nicht mehr zeitgemäß.

Es ist beinahe bewundernswert, mit welcher Wendigkeit in den USA plötzlich die Nichteinmischung als Prinzip auftaucht, nur kurz nachdem der Golfkrieg als logische Konsequenz und sogar als Inkarnation der neuen Weltordnung heiliggesprochen wurde. Im Wüstensand hat Amerika nicht nur, nach den Worten von Präsident Bush, sein Vietnam-Trauma begraben, sondern offenbar auch die politische Moral. Anders läßt sich die nach tausend Putschopfern in Haiti ergangene Washingtoner Aufforderung an Aristide, in Zukunft doch bitte die Menschenrechte zu respektieren, nicht erklären.

Werden die hiesigen Politauguren, die in vergangenen Monaten unter dem Stahlhelm im Wüstensand den ewigen Frieden zu entdecken glaubten und die internationale Sammelaktion „Waffen gegen den Irak“ zur Pflichtübung der internationalen Solidarität erklärten, nun ihre Stimme erheben? Die Notwendigkeit des Krieges am Golf wurde unter anderem damit begründet, daß andernfalls ein nicht hinnehmbarer Präzedenzfall entstünde, der gewaltsame Grenzveränderungen und Eroberungen gewissermaßen absegnen würde. Aristide hat die Notwendigkeit eines Eingreifens gegen die Putschisten in Haiti unter anderem damit begründet, daß andernfalls ein nicht hinnehmbarer Präzedenzfall entstehe, der gewaltsame Stürze demokratischer Regierungen salonfähig macht — in Lateinamerika und auch anderswo. Vielleicht ist Demokratie komplizierter als die Grenzordnung auf der Landkarte. Aber sie verdient deswegen nicht weniger Aufmerksamkeit, sondern mehr. Dominic Johnson