: Gegen Abschiebung helfen keine Knüppel
Verzweifelte Lage für die in einem Zeltlager am Rheinufer in Düsseldorf lebenden Roma/ Schlagstöcke sollen sie gegen Rassisten schützen, doch die drohende „Reintegration“ in Jugoslawien können sie nicht verhindern ■ Von Bettina Markmeyer
Düsseldorf (taz) — Mit Walkie-talkies und griffbereiten Knüppeln schreiten Autonome nachts die Leitplanke ab, die das Roma-Protestcamp am Düsseldorfer Landtag von der Rheinuferstraße trennt. Sie halten Wache, seit letzte Woche Rechtsradikale mit einem Überfall gedroht haben. Die Männer am Lagerfeuer unter der Rheinkniebrücke finden ihre neuen, nächtlichen UnterstützerInnen „in Ordnung“ — auch von ihnen drehen einige Holzknüppel in den Händen. Mehr Spaß allerdings haben sie mit Werner Schroeter, dem Regisseur, der nach Mitternacht mit einigen SchauspielerInnen vom Schauspielhaus herüberkommt, sich entspannt auf eine Holzbank fallen läßt und — „Habt ihr keine Gläser?“ — über den mangelhaften Service lästert. Daß er Wein und Sekt mitgebracht hat, veranlaßt eine kurzhaarige Blonde, ihren Wachtposten zu verlassen und den Mimen mitzuteilen, daß sie den Umtrunk „echt scheiße“ und dem Ernst der Lage nicht angemessen findet. Die Roma beobachten das Geplänkel mit Fassung, sie haben in den letzten dreieinhalb Monaten schon viele UnterstützerInnen in ihrem Zeltdorf erlebt.
Auch die Düsseldorfer SchauspielerInnen wollen mit ihrer nächtlichen Präsenz ein Zeichen gegen die wachsende Ausländerfeindlichkeit und, so Schroeter, „gegen die Diskriminierung von Minderheiten überhaupt“ setzen. Im Juli hatten sich Kölner Prominente, darunter Günter Wallraff, Ralph Giordano und Wolfgang Niedecken mit den Roma solidarisch erklärt. Seit dem 26. Juni harren die Menschen, anfangs zu mehreren hundert, inzwischen mit weit geringerer Beteiligung und wechselnder Belegschaft auf dem Platz am Rhein aus. Zwischen den Zelten zeigen behelfsmäßige Behausungen aus Brettern und Planen, daß man sich auch vom herannahenden Winter nicht vertreiben lassen will. „Wir machen weiter“, sagt Sprecher Schero, „bis wir ein Bleiberecht haben.“ Chemietoiletten und Trinkwasser werden aus Spenden finanziert.
Mitte September hatte das Oberverwaltungsgericht in Münster entschieden, daß das Roma-Camp eine politische Versammlung darstellt und nicht per Ordnungsverfügung durch die Stadt Düsseldorf geräumt werden darf. Zuständig ist allein der Polizeipräsident, den es keineswegs danach drängt, mit Zwangsmaßnahmen gegen Roma Deportation und Massenmord durch die Nazis in Erinnerung zu rufen. Und offensichtlich setzt auch die Landesregierung darauf, daß die Aktion sich von selbst totläuft, „einfach am langen Arm verhungern lassen“, wie Günter Haverkamp vom NRW-Flüchtlingsrat formuliert.
Denn während die Roma auf der einen Seite der Rheinuferstraße protestieren, treffen die Beamten in der Staatskanzlei auf der anderen Straßenseite die letzten Vorbereitungen für die „freiwillige Rückführung“ der ersten Familien in das Roma- Ghetto Schutka der mazedonischen Landeshauptstadt Skopje im zerrütteten Jugoslawien. Wegen des Bürgerkriegs werden die Roma direkt von Düsseldorf nach Skopje geflogen. Den Termin nennt der Chef der Staatskanzlei, Wolfgang Clement, nicht, doch ist in den nächsten zehn Tagen mit der Aktion zu rechnen. Im Ghetto erwarten die Roma-Familien fast komplett eingerichtete, neu errichtete Holzhäuser, Kindergartenplätze für den Nachwuchs, Hilfe bei der Arbeitssuche und Betreuung und anderes durch ein von der Essener Caritas organisiertes Büro.
Noch immer gibt die federführende Staatskanzlei keine Auskunft, wie viele der 1.400 in Frage kommenden Roma bisher einer „Reintegration“ in Skopje, die Roma-Sprecher erbittert als „Deportation“ bezeichnen, zugestimmt haben. Vermutungen, es handle sich nur um 100 Menschen, trat Minister Clement Anfang dieser Woche jedoch nicht entgegen. Klar ist, daß etwa 200 Roma ihre Teilnahme bis zum Stichtag am 15. September definitiv ablehnten, obwohl sie keine Alternative haben. Die meisten versuchen indes, die unter dem Druck drohender Abschiebung keineswegs freiwillige Entscheidung hinauszuzögern. Sie haben sich mit detaillierten Fragebögen zum Rückführungsprogramm an das Innenministerium gewendet. Man wertet diese Fragebögen „als prinzipielle Zustimmung“, so der stellvertretende Regierungssprecher Norbert Walter-Borjans. Daß die Landesregierung gleichwohl weiter versucht, die Zahl der „freiwilligen“ RückkehrerInnen und damit die bisher dürftige Erfolgsquote zu erhöhen, zeigt der jüngste Erlaß vom 27. September: Roma, die bisher nein gesagt haben, sich jetzt aber anders entschließen, können danach auch nach dem September-Stichtag noch am „Reintegrationsprogramm“ teilnehmen.
Wolfgang Clement und seine Leute in der Düsseldorfer Staatskanzlei wollen das mit 13 Millionen Mark ausgestattete „Reintegrationsprogramm“ unbedingt zum Erfolg führen. Das Bleiberecht-Versprechen, das Innenminister Schnoor den Roma letztes Jahr gegeben hatte, soll vergessen gemacht werden. Argumenten, daß die als „Hilfe in den Herkunftsländern“ apostrophierte „neue Flüchtlingspolitik“ gerade nicht an den Roma exerziert werden darf, die in keinem Land der Welt integriert sind, ist Clement nicht zugänglich.
Die Roma ihrerseits werden nun zwischen Abschiebung und dem kleineren Übel „Reintegration“ zerrieben. Die Ausländerämter verlängern Duldungen nur noch wochenweise. Viele Familien, die zu den Skopje-RückkehrerInnen gehören sollten, haben sich bereits in andere westeuropäische Länder abgesetzt. Der politische Kampf der übrigen NRW-Roma für ein Bleiberecht — ein bisher einmaliger Kampf — wird durch internen Streit geschwächt. Aus Kreisen der Rom & Cinti Union (RCU), deren Vorsitzender Rudko Kawczynski im vergangenen Jahr den erfolgreichen Bleiberecht-Bettelmarsch von Köln nach Essen angeführt hatte, mehren sich Stimmen, die das Protestcamp am Rhein politisch für gescheitert halten.
Doch das Zeltdorf am Landtag ist nicht nur Ausdruck des Roma- Kampfes für ein Bleiberecht. Es ist auch Ausdruck nackter Not, der Angst vor Abschiebungen, die nur neue Fluchtbewegungen in Gang setzen werden. „Wir gehen nicht zurück“, sagen die Sprecher der Roma in Düsseldorf, „eher springen wir hier in den Rhein.“ Diese Roma wollen sich nicht wieder einzeln und unbemerkt abschieben lassen. Sie wollen nicht wieder in den Ghettos jugoslawischer und rumänischer Städte um das Nötigste zum Leben kämpfen. Dafür machen sie weiter mit ihren Zelten und Hütten, mit improvisierten Öfen und Fischmahlzeiten aus dem Rhein, bei Regen und Kälte, im Verkehrslärm der Reinuferstraße, zu Füßen des Landtags. Drüben, in der Staatskanzlei auf der anderen Seite der Straße, sitzen die Herren im Warmen — und sehen zu.
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