: Ein Fuchs, der Achim
■ Achim Reichel begeisterte am Samstag im proppenvollen Modernes
Die Obergrenzen für verkaufte Eintrittskarten scheinen im Modernes daran bemessen zu werden, ob sich die Türen hinter dem letzten Gast noch schließen lassen. Die Allerletzten, die am Samstag direkt am Eingang und damit quasi hinter der Bühne standen, ohne Chance auf einen Blick auf die Musiker, mußten sich mit ihrer 28-Marks-Karte in der Hand schlicht verschaukelt vorkommen. Die Masse stand gestopft wie im Heringsfaß, schwitzend und nach der miesen Luft schnappend, aber glücklich: Eine über tausendköpfige hanseatische Großfamilie von 15 bis 50 feierte den blonden Achim, Hamburger, definitiver Sänger seiner Stadt. Mit aktueller Hit-Lp im Gepäck, einem jungen Quartett im Rücken und gnadenlos guter Laune trat „Herr von Reichel“ zum Heimspiel an — denn, wenn es nicht gerade um Fußball geht, ist der gemeine Tagenbare allem Hamburgischen ja recht zugetan. Doch trotz Hanseatenbonus: Es war wirklich ein richtig schönes Konzert. Achim hatte jedem sein Lieblingslied mitgebracht, so ergab sich fast zwangsläufig eine stimmige Mischung aus erdigen Rhythm & Blues-Nummern, romantischen Balladen und peppig aufbereitetem Volksliedgut.
Wohltuend hielt er sich dabei fern von deutschrocktypischen Sperenzchen: Kein dudelndes Saxophon gaukelte Anspruch vor, die Mitspieler hielten sich mit solistischen Ausflügen zurück zugunsten eines durchgehend gradlinigen, druckvollen Drives. Bodenständig, aber wirkungsvoll. Textlich, das weiß man, ist Achim Reichel gut sortiert. Neben seinen trefflichen Kiez-Beschreibungen - „St. Pauli-Blues“, „Der Spieler“ — half er dem alten „Ribbeck auf Ribbeck“ wieder auf den Birnbaum und bediente sich zwischendurch frech und frei bei Ringelnatz und Morgenstern. Daß es
Mann mit
Sonnenbrille
bei einigen Liebesliedchen dann doch mal recht platt zuging, sieht man ihm in diesem Umfeld gerne nach. Er ist ein souveräner Bühnentyp und wußte, worauf die Menge wartete: Nach eineinhalb Stunden ging es endlich gen Sansibar, der Bremer Saalchor — Aloha, ey — durfte minutenlang zeigen, was er drauf hat. So schön war–s. Fehlte noch was? Natürlich die Ehrung der Mütter und Väter im Saal, mittels „Rattles“-Potpourri am Schluß. Rührende Szenen, Ovationen. Ein Fuchs, der Achim, einer der schlausten Im Lande. Rainer Köster
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen