Totenfeier und...

■ Die Studiobühne der Freien Universität spielt Henrik Ibsens »Hedda Gabler« im Kreuzberger Theater Zerbrochene Fenster

Über der Szene liegt ein bläulich erstarrter Toten-Schein. Schon das allein läßt frösteln. Zudem hängen rundherum in der schwarzen Leere der Bühne blaugerahmte Bilder, deren Motive im Schwarzweiß wie eingefroren wirken. Ein Geschwisterpaar arrangiert dieses Mausoleum und füllt es mit Blumentöpfen auf. Vorn am Bühnenrand liegt aufgebahrt im roten Kleid die Titelheldin: Hedda Gabler...

Was hat männliche Interpretationskunst nicht schon für leidenschaftliche Brände in diesem Ibsen- Drama von 1890 entdeckt: die alle Konventionen fortreißende Gewalt des hemmungslosen Triebmenschen; das von Langeweile, Lüge und Selbstgenuß erfüllte Dekadenzweib; der die zivilisierte Moral bedrohende Dämon. Die Männerwelt konnte dieses ungefüge Weib offensichtlich derart schrecken, daß einer wie der brave Otto Schuhmann in seinem Schauspielführer alle verantwortungsvollen Theaterleiter dringlich davor warnt, dieses Höllenstück unverfrorener Vorgänge und nichtsnutziger Leidenschaften zur Aufführung zu bringen.

Jetzt gab die Studiobühne der FU das skandalträchtige Stück in Frauenhände, doch siehe: Der Skandal blieb aus. Andrea Vilter hat alles Ungefüge gezähmt und alle Leidenschaft in moderne Coolness eingefroren. Da bleibt nurmehr eine Totenfeier zu besichtigen, die zu einem klappernden Handlungsskelett abgemagert und in einen geradezu gnadenlosen Schematismus des Spiels gezwängt ist, der alle Leidenschaft, jede Sinnlichkeit erschlägt.

Leider zerfällt das hölzerne Arrangement zu einer unkontrollierten Anhäufung von Spieleinfällen, die wie auf einer Checkliste abgehakt werden: Da spielen die Schauspieler eben noch mit Ansichtskarten Memory, um in Erinnerung zu schwelgen; im nächsten Augenblick laufen sie schon in eine andere Ecke und bewerfen sich mit Büchern, weil ihnen das Wissen eines anderen auf den Wecker geht.

Freiräume für eine einfühlsame Gestaltung gibt es selten. Dafür wird im Kreis oder Dreieck gelaufen, weil eben die Emotion sich nicht anders zu helfen weiß. Die Figuren sind zu groben Karikaturen aufgeblähte Hülsen, die mit reichlich Klischee gefüllt sind: Die Männer bereden die Karriere und wechseln dabei die Zeitung, die sie lesen; die Frauen reden sich in Nostalgie und tauschen dabei die Kleider, die sie tragen. Das ist alles furchtbar einfach, leicht durchschaubar, manchmal komisch, aber meistens lächerlich. Gelungen ist allein das Bühnenbild, das wie ein Innenraum der Seele die Figuren unvermittelt eintreten und wieder verschwinden läßt.

Hedda Gabler, die ihren Mann mit ihrem ehemaligen Geliebten betrügt und ihren Geliebten um seine wissenschaftliche Arbeit bringt, ist offensichtlich der innere Frust derart in die Glieder gefahren, daß sie meist nur wie starr in der Gegend steht oder einer motorischen Handlung folgt. Ihr neuer Feind ist die Schwester ihres Ehemanns, die bei Ibsen eine Tante war: Wie Ulrike Kitzing mit einer allgegenwärtigen Präsenz diesen lemurenhaften Hausengel spielt, der überall zur Stelle ist, wo die Ordnung einen Knacks bekommt, und auch von Heddas Todesschüssen sich nicht schrecken läßt — das immerhin ist sehenswert und ein kleines rettendes Standbein in dieser lähmend spröden Inszenierung.

Immerhin dürfen sich die Emotionen, die die Titelheldin irgendwo im Unwägbaren angestaut hat, am Ende mit einem gutplazierten Schrei entladen; dann befördert sie der Pistolenschuß in die eigene Schläfe in die schon bekannte Lethargie zurück. Zu guter Letzt erklingt per Spieluhr die Melodie von Guten Abend, gute Nacht — sollte man das wörtlich nehmen? baal

Im Theater Zerbrochene Fenster, Schwiebusserstr.16, 1-61, bis 26.10. täglich außer 15., 18. und 22.10., jeweils 20.30 Uhr