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Die Wohnung entwickelt sich zum Raumschiff

■ Neueste Trends der Innenausstattungen/ Mit dem rechten Winkel wird gebrochen/ Dynamik und Asymmetrie bestimmen die Formen/ Erinnerungen an den Nierentisch/ Auf Natürlichkeit der Materialien und aufwendige Verarbeitung wird Wert gelegt

Berlin. »Memphis« und »postmodern« hießen die Zauberworte der 80er Jahre, die zugleich eine Phase des entfesselten Designs bezeichneten. Fern von jeglicher Funktionalität entwarfen die Designer um Ettore Sottsas spinnenbeinige Tischchen mit kleinen Glasplatten, kreischend bunte, mit Plastiklaminat belegte Raumteiler (Modell Carlton) und verzinkte Lampen in kindlichen Primärfarben, aus denen an den merkwürdigsten Stellen Glübirnen sprießen. Ob es sich dabei um gezielte Provokation der Entwerfer oder schlicht um Zynismus gegenüber den Kunden handelte, sei dahingestellt — Tatsache ist, daß abgesehen von den Alessi-Teekesseln, die es ständig irgendwo als besseres Werbegeschenk gab, kaum ein Stück den Weg in die Wohnungen fand.

»Design ist immer eine Angelegenheit für Minderheiten«, meint Hans-Peter Jochum, der in seiner Galerie »Extra« in der Wielandstraße Designobjekte ab 1950 verkauft. »Gerade Memphis-Möbel sind unverhältnismäßig teuer, wurden in kleiner Stückzahl produziert und sind eigentlich als Sammelobjekte angelegt.«

Daß die 80er Jahre endgültig vorbei sind, wird spätestes dann deutlich, wenn Sammler wie Karl Lagerfeld ihre gesamte Memphis-Kollektionen versteigern lassen. Ein knappes Jahrzehnt nach ihrem Erscheinen sind aus den Trendobjekten Museumsstücke geworden. (Eine Memphis-Retrospektive wird derzeit bei Deplana in der Mommsenstraße gezeigt.)

Ein weiterer Trend der 80er Jahre war sicherlich — insbesondere in Berlin — das experimentelle Design. Aus Readymades wie Einkaufswagen oder Waschmaschinentrommeln wurden Sessel und Tische gebastelt. Grob zusammengeschweißte Eisenkonstruktionen mit offen sichtbaren Schweißnähten entwickelten morbiden Charme für die Post-Punk-Ära — ausgefallene Unikate, die es trotz regen Medieninteresses nur in die Wohnzimmer vereinzelter Design-Freaks schafften.

Die Industrie zeigte kein Interesse, und die Masse kaufte weiterhin bei Ikea oder in den Möbelabholmärkten, die mit billigen Klassikerimitationen den Eindruck erweckten, guten Geschmack für wenig Geld anzubieten. Um es auf den Punkt zu bringen: Wie in der Mode, wo kurz auf lang folgt oder Muster auf uni, so geht es auch beim Möbeldesign zu, nur daß die Zyklen länger dauern.

Zu Anfang der 90er Jahre legt man wieder mehr Wert auf eine aufwendige Verarbeitung: Das Design zeigt sich nicht mehr in schrillen Effekten, sondern in der Qualität. Die Schlagworte lauten: Schlichtheit, neue Funktionalität, dynamische Formen und Asymmetrie. Wem dabei die 50er Jahre in den Sinn kommen, liegt nicht unbedingt falsch.

Die Raumausstattungen der neuen italienischen Designstars Massimo Iosa Ghini, der seine Karriere als Comic-Zeichner begann, erinnern mit ihren organisch anmutenden Kurven an das Innenleben von Raumschiffen in alten Science-Fiction-Filmen. Iosa Ghini propagiert den »Bruch mit dem rechten Winkel« und spricht in diesem Zusammenhang von der »befreiten Form« — Nierentisch, ick hör dir trapsen.

Was die neuen Materialien anbetrifft, läßt sich eindeutig ein Trend zur Natürlichkeit feststellen. Hochmodisch ist ein neuer Werkstoff namens MDF. Hinter diesem Namen verbirgt sich eine Art feiner Edelpreßspan, der häufig unkaschiert eingesetzt wird. »Die einfache Natur der Materialien und Formen selbst hemmen den Verbraucher nicht«, sagt der Engländer Jasper Morrison, dessen Möbel als Prototyp der neuen Schlichtheit gelten können.Sicher spielt auch das gestiegene Öko-Bewußtsein bei dem »Neuen Design« eine Rolle. War dieser Begriff in den 80er Jahren überwiegend moralisch und politisch besetzt, so ist er jetzt auch in der gestalterischen Diskussion zumindest als modischer Aspekt salonfähig. Wo High-Tech unbehandeltem Naturholz weicht, hat der Konsument das beruhigende Gefühl, etwas gegen die hochgiftige Plastikherstellung getan zu haben. Inwieweit sich das neue Design durchsetzen wird, bleibt abzuwarten, zumal es nicht mehr nötig scheint, sich in einem Stil einzurichten.Möbelmix ist gängige Praxis, und warum sollte ein Jugendstil-Büffet nicht mit einem Glastisch harmonieren oder ein 60er-Jahre-Lichtschlauch nicht zu einem Phillip-Starck-Stuhl passen?

Hans-Peter Jochum: »Die Kunden sind selbstsicherer geworden. Es ist durchaus möglich, Einzelstücke kreativ zu kombinieren. Ich finde das viel besser, als sich eine passende Sitzgruppe hinzustellen. Und wenn man mit Klassikern wohnt, erwirbt man gleichzeitig ein Stück Design- Geschichte.«

Das Trendmöbel schlechthin ist allerdings das lange verpönte Sofa. Waren die 80er Jahre das Jahrzehnt des Stuhls, so werden die 90er die Dekade des Sofas. Es fehlt in keiner Kollektion der großen Hersteller — mit asymmetrischen Lehnen oder auch ganz konventionell, vorzugsweise mit rotem Stoffbezug, lädt es ein, gemütlich zusammenzurücken und sich an dem häuslichen Sammelsurium von Kronleuchter bis Chromregal zu erfreuen. Denn wer bewußt wohnt, ist schließlich immer auch ein Sammler. Martin Schacht

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