Eine deutsch-deutsche Zeitungsmisere

■ 'Wir in Leipzig‘: Managementfehler und fragwürdige Personalpolitik lassen den West-Verleger scheitern/ 'Süddeutsche Zeitung‘ will 'WiL‘-Teile übernehmen

Leipzig (taz) — Als Mathias Finck (31) im Februar 1990 die Wochenzeitung 'Wir in Leizpig‘ ('WiL‘) gründete, hatte er im westfälischen Münsterland bewiesen, was in ihm steckt. Gegen den Widerstand lokaler Verleger gründete der Journalist und Ex-Gewerkschaftsfunktionär 'Wir in Detten‘, ein Anzeigenblatt für die westfälische Kleinstadt Emsdetten. Jahr für Jahr folgten neue Ableger, bis er das Verbreitungsgebiet auf den gesamten Kreis Steinfurt ausgedehnt hatte. Im Osten war der unbequeme Quereinsteiger ähnlich erfolgreich: Zwei Monate nach der ersten Ausgabe der Wochenzeitung in Leipzig konnte er diese mit Hilfe unentgeltlicher Überstunden seiner MitarbeiterInnen und Krediten in Millionenhöhe zur Tageszeitung umwandeln. Jetzt steht das mit Hurra angekündigte Blatt vor der Pleite.

Vom äußeren Anstrich einem Boulevardblatt ähnlich stand die 'WiL‘ in Konkurrenz zur 'Morgenpost‘, vom redaktionellen Anspruch sollte dem ehemaligen SED- Bezirksorgan 'Leipziger Volkszeitung‘ ('LVZ‘) der Rang abgelaufen werden. Eine Zwittergeburt, die Medienfachleute als den ersten gravierenden Fehler bezeichnen. Innerhalb der Redaktion war man indes stolz darauf, am Aufbau der ersten deutsch-deutschen Tageszeitung mitwirken zu können. Mathias Finck verbreitete ein Charisma, welches nicht unbedingt dem Klischee eines kapitalistischen Unternehmers entsprach: Da kam einer, der sich locker auf die Tischkante setzte, mitlachte, und sagte: „Ich bin einer von Euch.“ Dieses Betriebsklima setzte Energien frei, die das Unternehmen 'WiL‘ erst möglich machten. „Am Anfang hat niemand auf die Uhr geschaut. Es war unser Projekt, unsere Zeitung“, beschreibt einer der Mitarbeiter die Zeit.

Aber der smarte Jungverleger hat es versäumt, die vorhandenen Energien zu bündeln und ein tragfähiges Konzept zu entwickeln. Relativ schnell gab es hingegen Konzepte, die Lohnkosten möglichst gering zu halten. Für Fincks Leipziger Angestellte wurde nach seinem Austritt aus dem Verlegerverband im Herst 1990 ein eigener Manteltarif ausgearbeitet, der unter gewerkschaftlichen Gesichtspunkten eher einer „Nasenpolitik“ gleichkommt. Unterschiedliche Gehälter für gleiche Aufgaben: Wessen Nase Finck gefiel, hatte mehr in der Lohntüte. Sogar bei den 22 VolontärInnen gibt es mittlerweile Gehaltsabstufungen zwischen 1.400 und 1.800 DM. Mathias Finck nimmt gleich mehrere Funktionen war: Chefredakteur, Geschäftsleiter und Verleger.

Wer den Verlag innerhalb der letzten Monate verlassen hat, tat dies in der Regel mit einer Abfindungserklärung einschließlich des dazugehörigen Schecks in der Tasche. Woher das Geld kommt, kann sich niemand erklären. In Leipzig werden die Verbindlichkeiten des Verlages derzeit mit rund fünf Millionen Mark gehandelt, hinzu kommen jeden Monat weitere Verluste zwischen 300.000 und 400.000Mark.

Die Ursachen für diese Talfahrt hat Mathias Finck ausführlich in einem Sanierungskonzept vom Juli '91, das aufgrund des sorglosen Umgangs mit der Datenverarbeitung mittlerweile einigen MitarbeiterInnen vorliegt, zusammengefaßt. So seien in der Anzeigenabteilung schwerwiegende Fehler gemacht worden: Man habe auf einheimische Mitarbeiter ohne jede Verkaufserfahrung gesetzt, was zu „chaotischer Arbeitsweise, mangelnder Professionalität, schlechtem Image und mangelnden Umsätzen“ geführt habe. In seiner Analyse findet sich jedoch keine Antwort darauf, wie ein Anzeigenverkäufer ein Blatt verkaufen soll, von dem intern und in Fachkreisen längst bekannt ist, daß die reale Auflage höchstens ein Drittel der offiziell angegebenen beträgt — statt der angegebenen 65.000 ganze 17.000.

Innerhalb des Verlages sehen einige Westredakteure und der Betriebsrat eine wesentliche Fehlplanung in der Gründung von sechs Kreislokalredaktionen. Im Sommer 1990 habe eine Art „Goldgräberstimmung“ dazu geführt, den Verlag auf umliegende Kreise auszuweiten. Dabei sei die Kostenfrage nie im Blickfeld gewesen. Es wurde investiert, ohne die erwarteten Auflagenzahlen zu erzielen. Und daß, obwohl bereits direkt nach der Währungsunion drastische Einbußen — bis zu 1.000 Prozent — im Anzeigenaufkommen absehbar waren. Man hätte in Leipzig expandieren und hier mit gezielter Aquisition ansetzen müssen, kritisiert eine Mitarbeiterin. Das scheint auch die Geschäftsführung mittlerweile so zu sehen: Bis Ende des Jahres sollen drei Kreisredaktionen schließen.

Größenwahnsinnig zeigte sich Finck auch beim Aufbau eines eigenen Vertriebs, der 200 festangestellte Mitarbeiter umfaßt und die finanziellen Kapazitäten des Verlages bei weitem überschreitet. Er versprach sich vom hauseigenen Vertrieb, der auch den Vertrieb anderer überregionaler Zeitungen wie zum Beispiel der 'Welt‘ oder des 'Amtsblattes‘ der Leipziger Stadtverwaltung organisierte, zusätzliche Gewinne. Seit dem 1.Oktober wird im Verlag drastisch rationalisiert und der Vertrieb aufgelöst. Auch die Mehrzahl der 90 geleasten Betriebsfahrzeuge in Leipzig, die den Verlag monatlich mindestens 50.000DM kosten, wurde am 1.Oktober an die Leasingfirma in Rheine zurückgeführt.

Fragwürdig ist auch Fincks Personalpolitik, wie sich bei der Bestallung eines neuen Geschäftsführers zeigte. Michael Fuisting ist schon der dritte stellvertrende Geschäftsführer in der eineinhalbjährigen Geschichte der 'WiL‘. Der 30jährige Soester mußte von seinem Posten als Kreisgeschäftsführer der Paderborner CDU im September letzten Jahres zurücktreten, weil er insgesamt 14.000Mark aus der Parteikasse entwendet hatte. Drei Monate vor der Bundestagswahl im Dezember 1990 hatte der frühere Bonner Regierungssprecher Friedhelm Ost mit Fuisting seinen Wahlkampfmanager verloren — wegen Betruges.

Mittlerweile laufen die ersten Verkaufsverhandlungen: Die 'Süddeutsche Zeitung‘ hat Interesse bekundet, erhebliche Teile der 'WiL‘ zu übernehmen. Der Süddeutsche Verlag plant, eine landesweit agierende Tageszeitung in Sachsen aufzubauen, und steht hierzu auch in Verhandlungen mit anderen lokalen sowie regionalen Tageszeitungen. Das Interesse gilt jedoch weniger den Blättern an sich als vielmehr den jeweiligen AbonnentInnen. Die Verkaufssumme der 'WiL‘ liegt derzeit laut einer an die Volksbank Rheine gerichteten Mitteilung bei zwei bis zweieinhalb Millionen Mark. Anke Bruns