: Wasserstandsmeldungen aus Frankfurt
Axel Corti inszeniert „La Traviata“ ■ Von Frieder Reininghaus
Ein sehr klarer, blankgeputzter Verdi zeigte bei der Frankfurter Traviata-Premiere unter der Leitung von Silvio Varviso seine Konturen. Das Opernhaus- und Museumsorchester freilich offenbarte bei dieser Gelegenheit, wie es um den leistungsfähigen Klangkörper steht: nicht zum besten. Es fehlt ihm eine ruhige Hand, die kontinuierlich mit den Musikern arbeitet; ein Dirigentenohr, das den Streichern die vermeidbaren Ungenauigkeiten nicht mehr durchgehen und die Bläser wieder zu ungetrübter Intonation und paßgerecht gesetzten Solopassagen gelangen läßt.
Wenn Sylvain Cambreling von Brüssel an den Main wechselt, dann wartet eine nicht geringe Aufgabe auf ihn. Zumal seine Arbeit an den zehn Jahren der „Ära Gielen“ gemessen werden mit der Erwartung, daß sich das Haus, das durch den Grand und Opernchef Bertini auf einen Tiefstand geworfen wurde, rasch wieder im vorderen Feld der internationalen Liga der Musiktheater bewegt.
Bei und mit der Traviata-Premiere bewegte sich nicht eben viel. Die interimistisch eingesetzte Leitung der Frankfurter Oper, unbegreiflicherweise um ein kaum durch bemerkenswerte Qualifikationen hervorgetretenen Dr. Steinhoff gruppiert, ließ den Filmregisseur Axel Corti inszenieren. Wohin der Kurs gehen soll, wird freilich in dieser Übergangsspielzeit (mit 14 Wiederaufnahmen und lediglich vier Neuproduktionen — neben der allemal geschätzten Traviata die nicht minder beliebte Carmen, ein Lohengrin von Lehnhoff und der allgemein-überzeitlich-unverbindliche Friedensappell der Troades von Aribert Reimann) kaum deutlich werden. Man bietet eben jetzt so manches und das möglichst hübsch, um über die Runden zu kommen.
Schön waren die von Bert Kistner entworfenen Bilder gewiß. Corti und Kistner (zusammen mit der Kostümbildnerin Gaby Frey) verrückten die Dumas'sche Story von der liebenden und sterbenden Kurtisane aus der ersten Hälfte des 19. in die erste Hälfte des 20.Jahrhunderts. Zwar scheint der Salon der Violetta Valéry aus dem Fin de siécle zu stammen, aber die Uniformen beim Fest signalisieren einen genauen Zeitpunkt: Es sind die Stülpnagels und Stackelbergs, die sich da in den frühen vierziger Jahren in Paris als Besatzer herumtreiben. Mit dieser Zeitverschiebung knüpfte Corti an seine Film-Trilogie Wohin und zurück an, die Filme über die Wege tschechischer und deutscher Emigranten in der Nazi-Ära.
So edel die mondäne Welt der Traviata im Zentrum der von einem Luftangriff heimgesuchten französischen Hauptstadt ist, so idyllisch schön ist das Ambiente des Landhauses, in das sich Alfredo und Violetta zurückziehen: ein prächtiger, holzgetäfelter Feriensitz am Atlantikstrand. Nur an einer Stelle — wie zuvor schon der Salon — ist die Wand von einem nicht ganz durchgedrungenen großkalibrigen Geschoß beschädtigt. Im Hintergrund der schönen Musik mit ihren wohlkalkulierten Grobheiten muß es eine große Bedrohung geben; doch der Tanz auf dem Vulkan erhöht bekanntlich die Lust.
Daß sie von dieser größere Portionen spenden könne, das strahlt die als Titelheldin nach Frankfurt geholte Margaret Marshall weder stimmlich noch durch ihre Körpersprache aus. Die macht eine gute Figur, vor allem in britischer Herrenmode; zu oft aber rutscht ihr die Stimme weg und in der tiefen Lage tremoliert es allzusehr. Das tut den intendierten Schönheiten doch einigen Abbruch. Das kann der joviale Tenor von Dina do Domenico sowenig ausgleichen wie der profunde Baß des Vaters, Alexanderu Agache.
Der überzeugendste Moment der Frankfurter Traviata-Produktion ist eine lange Bewegung des aufwenigen Bühnenbildes: Das Innere des Landhauses gleitet nach rechts, und so wird der Blick aufs Meer wieder frei, an dessen Strand der verzweielte Alfredo entlangläuft. Die Bühne rotiert weiter und bringt, statt „Floras Pariser Palais“, eine Zirkus- Arena als Schauplatz für das Show- down zwischen Alfredo und Violettas reaktiviertem Verehrer (Barin Douphol, hier zu einem Besatzungsoffizier mutiert). Diese ganze langsame Bewegung wie eine Kamerafahrt: perfekt und wirklich schön gemacht. Zum Abschiednehmen dann ein Bahnhofsbild — auch das tief nostalgiebesetzt.
In Frankfurt wurde mit den diesjährigen Stadt-Festen der Hochkultur, dem Sommer-Festival in der Alten Oper, programmatisch die Frage nach der Schönheit aufgeworfen: Sie will wieder ungehemmt (und vor allem auch ohne schlechtes Gewissen) konsumiert werden. Frankfurt will Knotenpunkt der edelsten Schönheiten sein, korrespondierend zu seiner Rolle als Finanz- und zentraler Verkehrsplatz. In das Betreiben solcher Ästhetisierung reiht sich die Corti- Inszenierung ein. Ob der Kurs des Opernhauses (ausschließlich) in diese Richtung geht, muß erstens abgewartet werden und darf zweitens schon jetzt kritisiert werden. Hatte, zur Erinnerung, Kunst im emphatischen Sinn nicht auch etwas mit Wahrheit im Sinn?
Solche Erinnerung schien bei Corti auf, als er in der Arena fünf Mariannen auf fünf groteske Pickelhauben treffen ließ. Und durch die Installation eines surrealen Pegelmessers, der bis in den fernsten Horizont reicht.
Giuseppe Verdi: La Traviata. Regie: Axel Corti. Bühne: Bert Kistner. Mit Margaret Marshall, Alexandru Agache, Barbara Hahn u.a. Oper Frankfurt. Nächste Aufführungen: 18., 20. und 24.10.
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