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20.000 Tonnen Spannung für 1 Ton

■ Ausstellung „Entwicklung und Konstruktion eines Konzertflügels“ in der Bremer Sparkasse

Um die Magie des Klaviers muß der Schreiner Heinrich Engelhard Steinweg aus dem Harz vor 150 Jahren schon gewußt haben. Er baute sein erstes Klavier seiner Frau zu Gefallen. Es sollte nicht bei dem einen Instrument bleiben. Nach der gescheiterten 1848er Revolution wanderte er 1850 mit seiner Familie nach New York aus und gründete 1853 die Firma „Steinway and Sons“, die bis heute etwa 500.000 Klaviere und Flügel gebaut hat.

Drei davon sind bis zum 25.10. in der Sparkasse am Brill ausgestellt, aber leider, leider mahnt ein Schildchen: „Bitte nicht berühren!“ Die drei Prachtexemplare sind Teil der Ausstellung „Entwicklung und Konstruktion eines Konzertflügels“ der Firma Steinway und des Bremer Klavierhauses Thein. Die Ausstellung gibt Einblicke in die Kunst, die vor dem Klimpern kommt: den Klavierbau.

Rechts neben dem Eingangsportal sind vier große Rohbauteile aufgestellt. Ein Resonanzboden eines Flügels, leicht gewölbt und mit Rippen und Stegen versehen, die die hölzerne Membran zusammenhalten. Als nächstes ein nackter Flügelriem, der den Rahmen für Resonanzboden und die Gußplatte bildet, zusammengeleimt aus bis zu 18 Schichten Holz. Daneben die eiserne Gußplatte, auf der im Flügel die Saiten gespannt sind. Die sind aber auch gespannt: 20.000 Tonnen Spannung der gezurrten Saiten muß die Gußplatte standhalten. Der Abschnitt –Konstruktion' schließt mit einer bespannten Pianoraste, mit dicken Balken im Rücken. „Das gleicht einer architektonischen Konstruktion, ist ein Zusammenspiel von Statik und Spannung „, gerät der Bremer Klavierbauer Otto Wilhelm Thein ins Schwärmen, um gleich zur Demonstration der –Mechanik', dem zweiten Teil der Ausstellung, zu schreiten.

Das Modell der heute von Steinway gebauten Mechanik steht hier auch dem Unbedarften zur Verfügung. Diese eine Taste darf er drücken — und sich den Ablauf des Anschlags der Saiten verdeutlichen. Kein Ton ist zu hören — der filzumspannte Hammer schlägt nur auf einen kurzen Draht. Die Mechanik der 88 Tasten überträgt das mal energische, mal verträumte Fingerspiel des Pianisten in das Anschlagen der Hämmer auf die Saiten. In der Sparkasse sind 17 solcher Mechanik-Modelle in Glasvitrinen behütet, je eine Taste, aus der Geschichte des Klavierbaus.

Das älteste Modell von 1720, entwickelt von Meister Bartolomeo Christoforie in Florenz. Ein anderes steht für die die Kunst des Klavierbauers Andreas Stein, die Technik von 1770 repräsentierend. Meister Stein bekam seinerzeit auch mal von Meister Mozart Besuch und die beiden fachsimpelten über das neue Instrument. Die Zeit des Cembalos, dem Vorläufermodell, dessen Saiten durch Umsetzung des Tastendrucks gezupft werden, klang aus.

Zwei Jahrhunderte später waren es die komponierenden Virtuosen der Romantik wie Liszt, Schumann und Schubert, die besonders haltbares Musikgerät verlangten. Nicht nur Damen fielen bei Liszts Mephisto-Walzer in Ohnmacht, auch die damaligen Flügel gaben dabei schnell mal den Geist auf und die Saiten rissen unter der leidenschaftlichen Behandlung. „Das führte zu einem ungemeinen Entwicklungssprung in der Klaviertechnik und — konstruktion“, erläutert Thein. Die doppelte Repetitionstechnik hielt Einzug in die Klangkörper, die ungeahnte Geschwindigkeiten des Spiels und feinste Modulation der Töne zuließ. „Seitdem“, so Thein „hat sich das Innenleben der Klaviere und Flügel nicht mehr wesentlich verändert.“

Beispiele für Steinways Klavierbaukunst sind die drei anfangs erwähnten Instrumente. Ein Tafelklavier aus den USA von 1871, das aussieht wie ein rechteckiger Flügel, dessen Rahmen noch nicht wie bei beim Klavier platzsparend in die Senkrechte gekippt war. „Das verlangte damals der amerikanische Markt“, ergänzt Thein zu dem seltsam wirkenden Instrument. Als zweites ein Flügel, gebaut Ende des letzten Jahrhunderts, versehen mit Schnitzereien um die Beine, die an Gelsenkirchener Barock gemahnen, und dessen Zwilling sich im Haus Wahnfried in Bayreuth befindet. Zum dritten stellte die Sparkasse ihren Kammerkonzertflügel in die Schalterhalle, schlicht, streng, schwarz, glänzend — und noch mit Elfenbeinauflage auf den Tasten. Die neuen Instrumente bekommen eine Auflage aus Glasfasracryl auf die Tasten. „Leider“, findet Thein: „Für die Tasten eignet sich nur Elfenbein von wirklich alten Elefanten, genauso wie sich nur altes Holz, und nicht das schnellgezüchtete, für den Klavierbau eignet. Aus einem einzigen alten Stoßzahn kann man die Tasten für 200 Flügel verkleiden.“ Angesichts der brutalen und ungezügelten Abschlachtung der Elefanten verzichten auch Klavierbauer lieber auf das hautfreundliche Material. „Vielleicht können wir eines Tages wieder die Zähne von alten, eines natürlichen Todes gestorbenen Tiere, verwenden“, wagt Thein zu hoffen. juan

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