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Der Offenbarungseid des Landes Hessen

Die Hessische Gemeinschaftsunterkunft (HGU) nahm asylsuchende Flüchtlinge nicht auf, die vor Verfolgung durch Neonazis aus Ostdeutschland flohen/ Schutz fanden die doppelt Vertriebenen in der Universität Frankfurt  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Vor der hessischen Gemeinschaftsunterkunft Schwalbach (HGU) stand am vergangenen Dienstag abend ein versprengtes Häuflein verstörter Flüchtlinge, die um Aufnahme baten.

Doch vergeblich: „Alles belegt“, ließ die Heimleitung verlauten, und dann bekamen die Wartenden ein Formular in die Hand gedrückt, auf dem zu lesen stand, daß sie zwar um Aufnahme in der Unterkunft nachgesucht hätten, „wegen Überbelegung“ aber abgewiesen werden mußten. Eine bittere Nachricht für die Asylsuchenden, die gerade mühsam den Schikanen rechtsextremer Skinheads in Sachsen-Anhalt entkommen waren.

Dreimal hatten die Skinheads von Köthen bei Dessau das Flüchtlingsheim Aken attackiert, ohne daß die angezeigten Überfälle polizeiliche Ermittlungen nach sich gezogen hätten. Beim vierten Angriff, am 13. September, brannten die Neonazis dann das Wohnheim nieder und plünderten es aus. Die Flüchtlinge — überwiegend Chinesen und Vietnamesen — wurden kurzfristig „ausgelagert“.

Als sie Anfang dieser Woche erfuhren, daß sie nach Köthen zurück sollten, brach Panik aus. Mehrere Chinesen verließen Hals über Kopf ihr Quartier in Sachsen-Anhalt und suchten in Hessen „Schutz vor Verfolgung und Pogromen“, so der Sozialpädagoge Jürgen Fachinger vom Verein der Indochinaflüchtlinge in Frankfurt am Main.

Doch vor der hessischen Gemeinschaftsunterkunft Schwalbach (HGU) standen die doppelt Verfolgten vor verschlossenen Toren. Und wegen „anhaltender Unterbringungsschwierigkeiten“ könne auch kein späterer Aufnahmetermin zugesichert werden, hieß es. Der schwache Trost: „Erneute Vorsprache bitte erst nach telefonischer Terminabstimmung“.

Neben den sieben Chinesen, die inzwischen vom Verein für Indochinaflüchtlinge betreut werden, wurden am Dienstag noch an die zwanzig weitere AsylbewerberInnen abgewiesen. Sie wurden von der Flüchtlingssolidaritätsgruppe Schwalbach und dem Frankfurter Flüchtlingsbeirat mit einem Bus vor den Toren der Hessischen Gemeinschaftsunterkunft abgeholt, nach Frankfurt gefahren und dort vom Allgemeinen Studentenausschuß (Asta) der Universität provisorisch untergebracht — mit Zustimmung von HGU-Leiter Möser, der eine Kostenübernahme zusicherte.

Auch das Land, so die Staatssekretärin im Familienministerium, Brigitte Sellach (Grüne), werde „alles bezahlen“.

Nach Auffassung von Fachinger vom Verein der Indochinaflüchtlinge habe die Landesregierung somit das Universitätsgelände, auf dem knapp hundert AsylbewerberInnen untergebracht wurden, sozusagen als „Außenstelle der Hessischen Gemeinschaftsunterkunft“ akzeptiert.

Schließlich gilt in Hessen nach wie vor noch immer der Erlaß von Sozialministerin Iris Blaul (Grüne), wonach auch sogenannte Rückflüchtlinge, die nachweislich Opfer neonazistischen Terrors im Osten waren, in Hessen ein Bleiberecht hätten.

Nach Ansicht der Helfer aus dem Umfeld des Asta praktiziert die Landesregierung dagegen das „Bremer Modell“. Mit dem Schwalbacher „Offenbarungseid“ werde es den Flüchtlingen de facto unmöglich gemacht, in Hessen einen Asylantrag zu stellen, denn dort sitze die für die Entgegennahme von Asylanträgen zuständige zentrale Ausländerbehörde.

Der Frankfurter Flüchtlingsbeirat wirft der Landesregierung Versäumnisse in der Planung vor.

Es sei „allgemein bekannt“, daß im Herbst die Zahl der AsylbewerberInnen ansteige. Die Landesregierung hätte rechtzeitig für neue Unterbringungsmöglichkeiten sorgen müssen: „Mit der Aussperrung Schutzsuchender hat sich die Regierung als unfähig erwiesen, ihrer Verpflichtung zur Aufnahme und Unterbringung dieser Menschen nachzukommen.“

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