: General, Gullit, Glück
■ Europameister Holland besiegte Portugal mit 1:0
Rotterdam (taz) — „General“ Rinus Michels, der ausgefuchste Chef d'Equipe der niederländischen Fußballnationalelf hatte einen Tag vor dem Alles-oder- nichts-Spiel gegen Portugal sein Allerheiligstes, den bedingungslosen Angriffsfußball, dem Wunsch seiner Stürmerstars geopfert. Das Ergebnis sollte ihm recht geben: Die Truppe um Gullit, van Basten und Rijkaard wird höchstwahrscheinlich in Schweden ihren EM- Titel verteidigen. Mit 1:0 kickten sich die Holländer im Rotterdamer Feijenoord-Stadion den Weg in die Endrunde 1992 frei.
Spieler und Publikum waren sich einig, daß der Zweck die Mittel geheiligt hatte. „Dabeisein ist alles“, lautete in diesem Match die Devise der Altstars — acht von ihnen waren schon bei der 88er EM im Michels-Team. Und so schaltete „Oranje“ nach einer explosiven Anfangsphase, in der vor allem Gullit, Bergkamp und van Basten die erwartungsgemäß defensiv eingestellten Portugiesen mit Angriffswucht an die Wand drückten, nach dem einzigen Treffer durch Witschge sofort auf Sicherung um. „Nicht schön, aber effektiv“, kommentierte Michels später das Konzept, von dem eine Spielergruppe ihn am Vorabend überzeugt hatte. „Wer schönen Fußball sehen will, der sollte lieber zu einem Unicef- Benefizspiel gehen.“
Bescheidene 25 Minuten boten die Stars aus Milan und Barcelona noch einmal bestechenden Fußball. Ruud Gullit, mittlerweile 29, spielte inspiriert, ging lange Wege, gab sich kämpferisch. Marco van Basten und der junge Dennis Bergkamp von Ajax Amsterdam beschäftigten fast die gesamte Abwehr der Portugiesen. Doch ausgerechnet Richard Witschge, den Barcelona-Coach Johann Cruyff für 7,5 Millionen D-Mark von Ajax weglockte und der schon seit Januar 1990 kein Tor mehr geschossen hatte, verwandelte mit einem phänomenalen Volleyschuß aus 20 Metern eine abgedrehte Flanke von Frank Rijkaard zum einzigen Treffer des Spiels.
Das Wissen um die gefährlichen Konter des technisch hochbegabten, aber unerfahrenen Teams um Paulo Futre, hielt die Niederländer in der verbleibenden Stunde davon ab, etwas für ihr angeschlagenes Image zu tun. Gepunktet wurde ausschließlich in taktischer Hinsicht, die 48.500 Zuschauer, die trotz Windstärke acht und heftigen Regens den Weg in die Hafenstadt fanden, erlebten kein attraktives Spiel. Die technische Brillanz der jungen portugiesischen Elf war eine Augenweide, doch hatten sie eigentlich nur durch Joao Pinto in der 70. Minute eine reelle Torchance.
Die Oranje-Elf hat ihr Ziel erreicht, die zwei Punkte von Rotterdam machen das Team des „Generals“ für die beiden anderen Anwärter Griechenland und Portugal nahezu uneinholbar. Griechenland müßte schon seine vier restlichen Spiele gewinnen. Portugal-Teamchef Carlos Queiros kann nur noch auf eine Niederlage der Michels- Schützlinge gegen Griechenland (4.12.) hoffen, während seine Mannen im letzten Spiel gegen eben diese Griechen (20.11.) ihr Torverhältnis erheblich aufbessern müßten.
Rinus Michels hat erkannt, daß sein lobenswerter Ansatz, das Risikomoment im europäischen Fußball wiedereinzuführen, mit den Spielern steht und fällt. Seine Angriffsstars sind über ihren Zenit hinaus. Die beiden Spitzen van Basten und Bergkamp arbeiteten hart, konnten aber die Bälle nicht halten und ließen sich von Venancio und Couto den Schneid abkaufen. Van Basten, der Cruyff-Zögling und vehemente Vertreter des 90minütigen Sturmspiels sackte wie bei der WM in Italien in die Bedeutungslosigkeit ab. Ruud Gullit schuftete wie ein Pferd, um dem Spiel seinen Stempel aufzudrücken. Aber auch seine besten Tage scheinen vorbei zu sein. Neue Nachwuchsspieler fehlen gänzlich. Es waren die Knechte, Mannschaftsspieler wie Ronald und Erwin Koeman, der unermüdliche Jan Wouters, der reanimierte Adri van Tiggelen (34) und der aus der selbstgewählten Nationalabstinenz zurückgekehrte Frank „Lama“ Rijkaard, die das Spiel gegen Portugal entschieden. Henk Raijer
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