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Es braucht Zeit zu sterben

■ Arnd Wesemann unterhielt sich mit dem flämischen Theatermann Jan Lauwers über gegrillte Hähnchen und andere Todesfälle

Er ist Zeichner und Theatermann: Wenn der Flame Jan Lauwers inszeniert, wird alles ganz einfach. Shakespeare hat nichts Erschreckendes mehr, eher etwas Zartes. Die Schauspieler schauspielern nicht, sie agieren als reale Menschen. Das Schlichte ist Lauwers Prinzip. Damit er Theater machen kann, braucht er eine Company, die er der Einfachheit halber „Needcompany“ nennt. Shakespeares „Julius Caesar“, Lauwers letzte Produktion, lebte vom simpelsten Bühnenmord, der auf einer Bühne denkbar ist. Ein Erzähler deutet auf Caesar und sagt: Er ist tot. In Lauwers neuestem Stück stirbt Ernest Hemingway. Titel: „Invictos“, die Unbesiegbaren. Premiere war am Donnerstag im Frankfurter Theater am Turm, eine Besprechung folgt in den nächsten Tagen.

taz: Bei Ihnen gibt es stets kleine Wiederauferstehungen. Julius Caesar stirbt im dritten Akt, macht aber weiter. Er reitet ein Schaukelpferd. In Ihrem Stück „Ca Va“ starb Aida so ausdauernd sterbenskomisch, daß sie kaum mehr zum Sterben kam. Jetzt wird Hemingway sterben. Wird er lange sterben oder wird er wiederauferstehen?

Jan Lauwers: Nein. Oder doch: Er muß wiederauferstehen. Er ist ein Schauspieler. Es bleibt ihm gar nichts anderes übrig. Er darf im Theater nicht wirklich sterben. Denn er muß irgendwann von der Bühne wieder runter. Der Autor Hemingway bringt sich um, weil er nicht mehr schreiben kann. Der Schauspieler, der Hemingway spielt, muß sehen, wie er damit fertig wird. Er macht das entsprechend. Statt nicht mehr zu schreiben, spielt er nicht mehr. Nur so kommt er von der Bühne runter.

Julius Caesar bleibt gleich auf der Bühne.

Caesar war ein wunderbarer Augenblick. Er starb nicht, er machte nichts, er schaute nur, stand da. Das reicht. Jeder weiß, daß er von Brutus ermordet worden ist. Was soll's also. Für mich war das ein sehr magischer Moment. Etwas nicht zu tun. Auch mal nicht zu sterben, wenn man umgebracht wird.

Und Hemingway?

Tom Jansen spielt Hemingway, der nicht mehr schreiben kann und deshalb Selbstmord begehen wird. Tom Jansen ist ein Schauspieler und muß nur sagen, ich möchte nicht mehr spielen. Er will allein sein, er will sterben. Und da will man ja nicht spielen.

So einfach?

Das ist eine möglichst konsequente Art, Theater zu machen. Es ist mit dem Zeichnen genauso. Du merkst, ab einem bestimmen Punkt stimmt die Form. Du machst zehn, zwanzig Entwürfe und an einem bestimmten Moment ist es logisch, dort zu stoppen, auch wenn du nicht weißt, warum. Das ist der magische Punkt, die Klarheit. Im Theater ist es eine Frage des Timings. Jetzt gehst du ab.

Was fasziniert Sie am Sterben?

Es ist das ultimative Ding. Ich selbst denke nicht ans Sterben, ich bin optimistisch. Aber im Theater sind die Texte oft so nah am Ende. Sie behandeln die ultimativen Dinge. Im alten Rom gab es Aufführungen, da stirbt am Ende der Held. Aber bevor er stirbt, geht er ab und ein Gefangener oder Sklave kommt auf die Bühne und stirbt an seiner Stelle oder muß Selbstmord begehen. Das ist sehr real. So real, wie von der Bühne abzugehen.

Was halten Sie von einem schönen Bühnentod?

Ich mag das in Opern wie „Aida“. Es ist sehr schön, sehr künstlich, aber es hat nichts mit Realität zu tun.

Ihre „Aida“ starb sehr komisch.

Ich war wahrscheinlich zu ängstlich, es ernst zu inszenieren. Vielleicht sollte ich es nochmal versuchen.

Sie haben stets Erzähler in Ihren Stücken. Leute, die außerhalb stehen und die Handlung kommentieren. Nun ist in ihrem neusten Stück „Invictos“ Hemingway selbst ein Erzähler.

Trotzdem, ich halte es immer noch getrennt. Es gibt einen Autor, Hemingway, und einen Erzähler, der die Geschichte des Autors zu verstehen versucht. Die letzte Stunde, bevor Hemingway stirbt. Der Erzähler versucht herauszufinden, warum Hemingway sterben will. Das ist schwer, denn wichtig ist, daß der Autor nicht mehr spielen will, sich weigert. Er erzählt eine lange Geschichte, seine letzte, sehr langsam, um sich von allen und sich selbst zu verabschieden. Man muß sich Zeit zum Sterben nehmen. Wie bei Aids, das dauert manchmal Jahre.

Hemingway, damit assoziiere ich den spanischen Bürgerkrieg. Die Bereitschaft für etwas zu sterben. Hemingway vertauschte eine zeitlang den Stift mit einem Gewehr, so wie sich vor ein paar Wochen ein spanischer Korrespondent in Jugoslawien entschloß mitzukämpfen.

„Invictos“ bedeutet die Unbesiegbaren. Das hat mit dem spanischen Bürgerkrieg nichts zu tun. Nur soviel, daß jede Seite sich für unbesiegbar hält. Aber das ist ein Kommunikationsproblem, das interessiert mich mehr.

Inwiefern ein Kommunikationsproblem?

Natürlich. Zum einen weigert sich der Akteur, mit den anderen zu spielen. Du fühlst die Spannung, ob sie spielen oder nicht oder wirklich ein Krieg zwischen ihnen abgeht. Der Erzähler sagt: Akt sieben. Und Hemingway antwortet, er macht das nicht, er spielt den siebten Akt nicht.

Ist das ein Witz?

Es ist real. Eine Art Krieg, tatsächlich. Es geht darum, daß er auf der Bühne niemanden mehr sehen will. Das ist real. Als Figur soll er sterben. Also will er auch als Schauspieler niemanden mehr sehen. Tom Jansen, der Hemingway spielt, fragt permanent, warum bin ich auf der Bühne. Das ist die beste Frage, die er stellen kann. Was mache ich hier eigentlich? Das ist eine reale Frage. Und wenn das klar wird, ist es eine gute Arbeit gewesen.

Sie schweigen sich an?

Nein. Schlimmer, die drei spanischen Schauspieler sprechen Spanisch, die drei Holländer Holländisch. Die Holländer sagen etwas über die schöne spanische Frau, aber sie versteht es nicht. Sie sei wirklich eine Hure, sagen sie. Aber sie versteht es nicht. Man könnte Englisch sprechen, aber das geht bei Spaniern schlecht. Das macht sie ärgerlich.

Irgendwann hat man den Text aber verstanden.

Die Schauspieler ja. Aber als wir in Spanien auf Tournee waren, haben die Spanier es nicht akzeptiert. Sie verstanden es nicht, aber sie spürten, diese Scheißkolonialisten, was machen die mit unserem Mädel. Gerade das ist so real. Sowas ist schön am Theater. Es ist eine komplexe Situation. Ich bin ein wenig ängstlich, daß es durch die Wiederholung eine Routine bekommt, und alle sich verstehen. Dann ist es vorbei.

Alle heißt, das Publikum und die Schauspieler?

Genau. Man muß immer wieder von vorne anfangen können. Und im Theater kann man das. Du mußt das Problem der Schauspieler spüren, nicht das Stück. Theater ist ein perverses Medium. Es braucht immer das richtige Timing. Ich habe vor der Needcompany mit dem Epigonentheater eine Produktion gemacht. Wir kamen auf die Bühne. Wir ließen zwei Hähne miteinander kämpfen. Den Hahn, der starb, haben wir geschlachtet, taten ihn in den Ofen, bereiteten ihn zu. 45 Minuten Grill. Der Geruch gelangte in den Zuschauerraum. Den Kopf warfen wir dem überlebenden Hahn zu. Der aß ihn tatsächlich auf. Das ist Echtzeit. Man hat alles verstanden, aber keiner hat „es“ verstanden. Aber jeder hat was gespürt.

Du hast Schauspieler gefunden, die bewußt einander nicht kannten und verstanden, Kampfhähne?

Das ist ein Spiel. Man weiß nicht, was rauskommt. Die ersten zwei Wochen waren wir sehr verzweifelt. Drei Holländer gegen drei Spanier. Das war ein Spachproblem, das sie auch haben sollten. Die Holländer separierten sich von den Spaniern, um in Ruhe in ihrer eigenen Sprache sprechen zu können. Ich hoffe, das bleibt so.

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