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»Mal so richtig blöd sein«

■ Die Freie Volksbühne versucht, Henry Fieldings »Tragödie der Tragödien« zu spielen

Der Zwerg besiegt den übermächtigen Riesen. Ob es sich dabei um Sindbad, Gulliver oder den kleinen Däumling aus Grimms Märchen handelt — die Gegenüberstellung zweier ungleicher Streiter faszinierte Autoren aus verschiedenen Jahrhunderten und Kulturen. Zumeist gewinnt der Schwächere. So auch Tom Thumb, der Riesentöter aus Henry Fieldings Tragödie der Tragödien oder Leben und Tod Tom Däumlings des Großen, einer englischen Variante dieses mythologischen Stoffes. Tom Thumb befreit das Reich des König Artus und darf als Belohnung dessen Tochter Hunkamunka heiraten. Nach diversen Verwicklungen — ein eifersüchtiger Lord begehrt ebenfalls Hunkamunka, Artus selbst eine gefangene Riesin und die trunksüchtige Königin Lollalolla den kleinen Däumling — wird Tom Thumb von einer Kuh gefressen, und der Hofstaat metzelt sich gegenseitig nieder.

Die Tragödie der Tragödien entstand 1731 und ist eins der wenigen noch gespielten Theaterstücke Henry Fieldings. Sie ist, entgegen ihrem Titel, eine Komödie, eine burleske Farce, eine Kritik am entsetzlich wehleidigen und pathetischen Tragödienstil dieser Zeit.

Für einen witzigen und spannenden Abend ohne allzuviel Tiefgang ist das Stück womöglich noch zu gebrauchen. Nur nicht, wenn es in die Hände der Freien Volksbühne fällt. »Mal so richtig blöd sein« ist das Motto der Regisseurin Friderike Vielstich; sie vergißt, daß gerade dafür Ideen und handwerkliches Können vonnöten sind.

»Theater im Theater« ist der erste und so ziemlich einzige erkennbare Regieeinfall, auf den man gleich zu Beginn gestoßen wird. In schwarzen Strampelanzügen zeigen uns die Schauspieler ihr Warming up. Doch nicht die üblichen Gymnastikverrenkungen und Entspannungsbrüllereien werden vorgeführt — man versucht sich an Jonglagen und akrobatischen Standbildchen. Nur: jonglieren kann da keiner, und so sieht man den einen oder anderen zwei Reifen in die Luft schmeißen und wieder auffangen.

Eine grandiose komische Leistung, wenn sie als solche gedacht gewesen wäre. Und das Schlußbild — alle übereinander und nebeneinander verschachtelt — zittert und wackelt derart, daß man für die Zuschauer in der ersten Reihe fürchten muß. Danach darf dann das Stück beginnen.

Weiter geht's mit dem Spiel im Spiel: Hier und da klappt mal was nicht, die Szene wird wiederholt. Da aber weder der erste noch der zweite Einfall komisch oder sinnig ist, bewirkt dieses Stilmittel nur eine qualvolle Verlängerung eines ohnehin schon zutiefst langweiligen Abends. Der Texthänger darf natürlich auch nicht fehlen, ein anderer Schauspieler souffliert. Nicht gerade originell, und auch noch so schlecht ausgespielt, daß man sich nie sicher sein kann, ob der Hänger nicht tatsächlich gerade passiert ist. Was so leicht und mühelos klingen und aussehen müßte, wirkt hier verklemmt und ängstlich.

Weitere Ideen, von welcher Qualität auch immer, kann man mit der Lupe suchen. Ein Clown mit großer roter Nase und gestreiftem Gewand latscht alle zehn Minuten über die Bühne und blickt bedeutungsvoll ins Publikum. Ein dezenter Hinweis, daß es sich um eine Komödie handelt? Und warum ist er so eindeutig männlichen Geschlechts, so breitschultrig und beschnauzt, und bekam trotzdem riesige Melonentitten verpaßt? Mit den Unterschieden zwischen den Geschlechtern scheint es die Regisseurin sowieso nicht zu haben.

Die Rolle des Tom Däumlings wird von einer Frau verkörpert (Sophie Rois). Kleiner als einige der männlichen Darsteller ist sie nicht, eine aufregende Schauspielerin schon gar nicht — also gibt es keinen Grund für diese Besetzung außer kurzzeitiger Effekthascherei.

Ein Lichtblick immerhin: Bühnenbildnerin und Lichtgestalter (Kathrin-Susann Brose und Axel Wackwitz) schaffen es gemeinsam, die Bühne in eine düstere Atmosphäre zu hüllen, ständig unterbrochen von aufflackerndem Feuer und gespenstischen Lichteffekten, die großartig zu der mystischen Legende um König Artus und den Zauberer Merlin passen. Und Andrea Schöning als lallende Königin Lollalolla ist als einzige wirklich komisch — eine Erholung neben der übrigen Laienspieltruppe samt ihrer einfallslosen Regisseuse. apo

Freie Volksbühne, Schaperstraße, 1 Berlin 15, nächste Vorstellungen: 24. und 25.10., jeweils 19.30 Uhr

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