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„Wir haben gedopt“

■ In Bad Nauheim wagten die gesamtdeutschen Zehnkämpfer erstmals ein verklausuliertes kollektives Doping-Geständnis — Eine Herausforderung für den konservativen Leichtathletik-Verband

Bad Nauheim (taz) — Vergangenheitsbewältigung war noch nie die stärkste Disziplin der deutschen Leichtathletik. Das Zehnkampf- Team, seit seiner Gründung vor einem Jahr Vorreiter in Sachen Doping-Bekämpfung, wagte als gesamtdeutsches Kollektiv nunmehr einen ersten Schritt in Richtung Vergangenheit. Beim dreitägigen Seminar der Zehnkämpfer in Bad Nauheim verfaßten sie eine bemerkenswerte Erklärung: „Es wurde in den alten und neuen Bundesländern im Zehnkampf gedopt!“

Zu den Unterzeichnern der Selbstbezichtigung gehört der Ex- Schweriner Weltmeister Torsten Voss (Uerdingen) und der ehemals Rostocker Olympiasieger Christian Schenk (USC Mainz). Doch auch prominente Sportler des Westens nahmen die Selbstkasteiungs-Geisel in die Hand: Olympia-Medaillengewinner Guido Kratschmer, Weltrekordler Jürgen Hingsen und Zehnkampf-Teamvorsitzender Siggi Wentz: „Wir, auch die ehemals Schuldigen, verurteilen heute Dopingvergehen auf das schärfste!“

Die Vorwürfe gegen Schenk und Voss sind seit einem Jahr bekannt. Neu sind die Anschuldigungen gegen Hingsen, Kratschmer und Wentz. Alle drei rangen sich nicht direkt zum „Geständnis“ durch, verwiesen statt dessen auf die verklausulierte Erklärung. Wentz: „Ich will da nicht nachkarten.“ Dennoch betonte er aufschlußreich oft und mit Nachdruck: „Auch ich habe diese Erklärung unterschrieben.“ Gänzlich unverschlüsselt gab hingegen der frühere 8.000-Punkte-Zehnkämpfer und Schenk-Trainer Holger Schmidt seine frühere Doping-Praxis zu.

Für die Zehnkämpfer ist die Zeit der Dementis endgültig vorbei, die Zeit der bedingungslosen Offenbarung jedoch noch nicht angebrochen. Schmidt: „Diese Erklärung ist die ideologische Basis für alles, was in Zukunft bei uns passieren soll.“ Die Erklärung des Zehmkampf-Teams bastelt an der Integrität ehemaliger Doping-Nutzer, die heute als Trainer, Ärzte, Athleten oder Funktionäre den Neuanfang ohne Doping fordern und aktiv mitgestalten. Die geschickte Taktik dieser Aktion ist — verglichen mit der Augen-zu-und- durch-Mentalität des Dachverbandes (DLV) — geradezu auffällig. Den Häuptlingen der Zehnkämpfer ist klar, daß sie bei ausbleibender Vergangenheitsbewältigung von eventuellen Enthüllungs-Ereignissen überholt werden könnten. Ohne ein Eingeständnis würde ihr Wort trotz aller vernünftiger Zukunftsabsichten kaum noch zählen.

Daß sich viele Top-Athleten, die früher vielleicht gedopt hatten, heute hinter diplomatisch-verklausulierten Papieren wie der Bad Nauheimer Erklärung verschanzen, ist verständlich. Schmidt: „Es gibt viele Gründe, nicht offen auszupacken. Der eine will nicht gesperrt werden, der andere fürchtet Regreßforderungen, zum Beispiel seitens der Sponsoren.“ Doping ist immerhin schon lange verboten. „Selbst für einen gut verdienenden Zehnkämpfer könnte das den finanziellen Ruin bedeuten.“

In Bad Nauheim diskutierte das Team im geschlossenen Kreis auch über seine nichtaktiven Mitglieder, beispielsweise Ärzte. Bundestrainer Claus Marek: „Wir wolllen nicht mit Fingern auf diese Leute zeigen. Es war nicht so, daß sie unsere Athleten nur mit Anabolika vollgepumpt haben.“

Sollte die vom Deutschen Leichtathletik-Verband eingesetzte fünfköpfige Juristengruppe aus alten und neuen Ländern jedoch bei ihren Untersuchungen ein extrem hohes Maß an Beteiligung feststellen, „werden wir uns von diesen Leuten trennen müssen.“ Andreas Singler

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