KOMMENTAR: Auflösen statt Abspecken
■ Der Blick nach rechts soll die Legitimationskrise des Verfassungsschutzes lösen
Unfähig, zu teuer, einfach unnötig: Das Urteil über den Verfassungsschutz in Köln hätte aus den Reihen der Bürgerbewegung, der grünen Partei, der Humanistischen Union oder der Stasi-Auflöser kommen können. Es kam jedoch von völlig unerwarteter Seite, aus dem Bundesland Bayern, das als einziges Republikaner und PDS gleichzeitig auf die Liste der Verfassungsfeinde gesetzt hat — aus einem Bundesland also, das auch bei den Konservativen nicht gerade im Verdacht steht, die vielbeschworenen Sicherheitsinteressen des Staates zu vernächlässigen. Wohin auch CSU-Generalssekretär Huber mit seinem etwas obskuren Vorschlag, das Bundesamt in ein Flüchtlingsheim umzuwandeln, gezielt haben mag — er hat es geschafft, das Thema Verfassungsschutz auf die politische Tagesordnung zu setzen.
Der Liberale Wolfgang Kubicki („Die wesentlichen politischen Entwicklungen der Welt laufen sowieso an unseren Geheimdiensten vorbei“) oder der sozialdemokratische Haushaltsexperte Rudi Walther („Die Zeiten der krankhaften Suche nach Verfassungsfeinden aus dem Osten sind endgültig vorbei“) allein hätten die Debatte kaum in Gang gebracht.
Die beinahe schon panische Reaktion der Verantwortlichen, vom Bundesinnenminister Schäuble über seinen bayerischen Amtskollegen Stoiber bis hin zu den Sicherheitsexperten aus SPD und FDP wird von einem wesentlichen Moment getragen: Wird das Bundesamt abgewickelt, stehen als nächstes die Landesämter und steht damit der Verfassungsschutz insgesamt zur Debatte. Wenn sich der Rechtfertigungseifer in Bonn nun fast schon überschlägt, liegt das auch daran, daß die Kritiker den Dienst auf dem falschen Fuß erwischt haben. Wer kann schon den Bürgern erklären, daß nach dem Wegfall der Ost-West-Konfrontation die Lauschbehörde in Köln im nächsten Jahr 30 Millionen Mark mehr braucht, wie im Haushaltsentwurf für 1992 gefordert? Und dies zu einer Zeit, in der der Verfassungsschutz sowieso in einer tiefen Legitimationskrise steckt. Mit dem Zusammenbruch des kommunistischen Ostens ist die Abwehr der Bedrohung der Bundesrepublik als Arbeitsauftrag der Verfassungsschützer hinfällig, und ohne die Agenten der Stasi-Abteilung von Markus Wolf ist der aufgeblähte Apparat der Spionageabwehr arbeitslos geworden.
Um die weiteren Verfassungsschutzaktivitäten zu rechtfertigen, werden nun die rechtsextremistischen Umtriebe in den Mittelpunkt gerückt, wohl wissend, wie brüchig die Argumentation ist. Es ist ja nicht so, daß Neonazis, Skinheads oder Hooligans über Nacht aus dem Boden schossen und in der Vergangenheit keiner vor ihnen gewarnt hätte. Nur: der Verfassungsschutz tat es nicht. Wenn Baden-Württembergs Innenminister Dietmar Schlee heute beipielsweise bekennt, die Skinheads dürften nicht länger als unpolitische Rowdys betrachtet werden, dann markiert er lediglich den Kurswechsel, der die weitere Existenz des Verfassungsschutzes legitimieren soll.
Seinen Glauben daran, daß der Einsatz von Wanzen, V-Leuten oder sonstigem Lauschgerät zu einem besseren Überblick über diese Szene führt, um anschließend mit „polizeilichen repressiven und präventiven Maßnahmen gezielter vorgehen zu können“, darf man getrost zu Grabe tragen. Eine im BKA als Verschlußsache klassifizierte Sonderstatistik über Staatsschutzdelikte weist beispielhaft für Niedersachsen nach, daß zwischen 1976 und 1985 nicht einmal ein Prozent dieser Strafverfahren auf Hinweise durch die Nachrichtendienste zustande gekommen sind.
An der Erkenntnis, daß der Vefassungsschutz abgespeckt werden muß, kommt keiner der Sicherheitsexperten vorbei, auch nicht in der Union. Die Debatte sollte eigentlich auch Wasser auf die Mühlen derer sein, die seit Jahr und Tag die Auflösung aller Geheimdienste fordern. Von ihnen ist zur Zeit allerdings nichts zu hören. Und das, obwohl die Zeiten noch nie so günstig waren wie heute. Wolfgang Gast
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