Mit Bremer Label über'n Tellerrand

■ Über das Independent-Label „Strange Ways Records“ / Wie alles anfing, was es bringt, was es kostet, was es soll

Im April 1989 ging es los mit The Perc Meets The Hidden Gentleman. Lothar Gärtner, Mitherausgeber des Bremer Fanzines Strange Ways, hatte eine Idee. „Mit denen nehme ich eine Platte auf“. Inzwischen hat er bereits 35 Veröffentlichungen gemacht, wirkt darüberhinaus bei vier weiteren Sub-Labels mit.

Wer bei ihm eine Platte machen darf und wer nicht, hängt von persönlichen Kriterien ab: „Gut muß die Band sein und einzigartig. Etwas, was andere Gruppen eben nicht machen, zwar nicht zu schräg, aber mit eigenem Charme.“ Daß er die MusikerInnen persönlich gut kennt, ist ihm mittlerweile immer weniger wichtig. Früher war das so, aber jetzt hat die Musik Vorrang.

Eine Platte zu machen, wie geht das? Gärtner hatte da keine Bedenken. Um sein Platten-Label zu gründen, meldete er zunächst ein Gewerbe an, „das kostet nicht viel.“ Dann machte er sich bei Bekannten schlau, wie eine Platte gepreßt wird. Richtig schwierig wurde es dann, als er für sein Vorhaben Geld auftreiben mußte: „Ich habe alle meine Freunde angesprochen, mir etwas Geld zu leihen. Die konnten sich beim besten Willen nicht ausrechnen, die Kohle jemals wiederzusehen, aber insgesamt sind 20.000 Mark zusammengekommen.“ Der nächste Schritt waren die sogenannten Masterbänder, das im Tonstudio eingespielte Musikmaterial. Danach brauchte es noch ein Überspielstudio, ein Plattenpresswerk und eine Vertriebsfirma. „Ohne einen Vertrieb braucht man gar nicht erst anzufangen. Ohne Promotion bleibst du auf deinen Scheiben sitzen. Zum Glück kannte ich jemanden, der jemanden kannte. Daß wir aber in zweieinhalb Jahren 35 Platten machen würden, dachte damals niemand.“

Jedes seiner Prudukte erscheint als LP und als CD. Das bedeutet zwar ein größeres finanzielles Risiko, denn ein Kassen- Flop ist schnell produziert, aber nur mit einer Langspielplatte wird niemand mehr ernst genommen, findet Gärtner. Daß die LP überhaupt eine Zukunft hat, glaubt nicht einmal er, aber „ich bin nun mal ein Vinyl-Junkie“.

Ökonomisch sind LPs weit in den Hintergrung getreten. Der neueste Sampler Bouquet of Dreams ist dafür das beste Beispiel. Die Doppel-LP bietet auf 105 Minuten 23 Stücke, ist aber nur zu einem Drittel am Gesamtumsatz beteiligt. Die CD dauert nur 70 Minuten und hat bloß 15 Tracks, verkauft sich aber doppelt so gut. Noch lohnt sich das für den Label- Macher, für Minderheiten will er allerdings auch keine Platten machen.

Überhaupt die Kosten. Gärtners Nebenkosten an Porto, Anzeigen, Telephon und Promotionsmaterial und Belegplatten sind zusammen höher als die Herstellung eines Tonträgers. Daher ist er bisher auf seinen Hauptberuf in einer Elektro-Firma angewiesen.

Das Bremer Label ist in der Bundesrepublik ein Begriff. Strange Ways Records haben neben zwei anderen Labels im Independent-Bereich den größten Sprung nach vorn gemacht. Gärtner ist mit dem Erfolg zufrieden, schon allein, weil er aus Bremen kommt: „Die glauben doch immer noch, hier sei tiefste Provinz. Wenn Du Radiosendern zum Beispiel anrufst, und Du erwähnst Bremen, dann bist Du gleich zweite Wahl. Das laß ich mir nicht mehr gefallen.“ Er hat inzwischen gute Presse bekommen. Es gab „Stern“-Artikel über ihn und seine Gruppen, außerdem erschien er im „Musik-Express“, im „Zillo“, und selbst Dietrich Diedrichsens „Spex“ kam an Strange Ways nicht vorbei. Die Platten wurden bundesweit im Radio gespielt, es gab ein WDR- Special, ebenso beim Bayrischen Rundfunk und beim SFB. Plattenguru John Peel hat die Gärtner- betreuten Jelly Phlegma gespielt und auch Heroina (Peel: „Good band, silly name“). Und das Video von Pachinko Fake, „Push Me“, lief oft auf MTV.

Von den vermeintlichen Erfolgen bleibt ihm außer viel Arbeit wenig. Bei der Bremer Musikszene den Überblick zu behalten, hält er für sich nicht möglich, zu Konzerten geht er kaum noch. Zu Hause türmen sich über 300 Kassetten, alle von Gruppen, die eine Platte machen möchten. „Dabei ist das völliger Quatsch. Auch Bremer Bands sollten lieber erst einmal zwei Jahre touren. Es gibt einfach zu viele Platten auf dem Markt.“

Natürlich bereichert Herr Gärtner diesen Musikmarkt ebenfalls mit seinem vielfältigen Sortiment. Der bereits erwähnte neue Sampler ist auf Dark Star erschienen, einem Unterlabel der „großen“ Strange Ways Records. In diesem Forum möchte er den Beweis antreten, daß düstere „Gruft-Musik“ nicht selbstredend auch die „Aufhängerszene“ ist. Einen Knüller hat der rührige Bremer auch noch zu bieten. Unter dem hübschen Namen Tanzplagen hat er eine Mini-CD herausgebracht, auf der Michael Stipe, der heutige „REM“-Sänger zu hören ist. Die bisher als verschollen geglaubten Mitschnitte von 1981 hält Gärtner für eine „Wahnsinnsveröffentlichung: REM ist weltweit in den Charts, die Aufnahmen sind super-rar, das wird der Ober-Renner.“

Lothar Gärtner hat mit seinen Strange Ways Records die Bremer Musikszene über den heimischen Tellerrand bekannt gemacht. Vorher waren, außer bei der Punk-Firma „Weser-Label“, keine Bremer Bands veröffentlicht worden, von ur-alt Produktionen mal abgesehen. Gärtner weiß das, und er fühlt sich ein wenig geschmeichelt. Immerhin hat er mit daran Anteil, daß der Mega-DJ John Peel kürzlich im Äther verkündete:“In Bremen geht gerade genau dasselbe ab, wie damals in Manchester.“ Insider wissen, was das heißt. Jürgen Francke