Quotenrun: Hase möchte Igel sein

■ ARD-Spielfilmredaktion präsentierte Programm für 1992

Harry Cohn hatte ein narrensicheres Mittel, um zu beurteilen, ob ein Film gut oder schlecht ist: „Wenn mir der Hintern weh tut, ist er schlecht. Wenn mir der Hintern nicht weh tut, ist er gut.“ Harry war kein Pionier der Couch Potatoes, sondern der legendäre Studioboß bei Columbia Picures. Für Fernsehfreaks wäre sein Rezept auch total unbrauchbar. Runde sechstausend Filme spulten die deutschen Sender 1990 ab, zwei Drittel davon die Privaten. Besonders fleißig: Pro 7, das allein ein Viertel des Filmkuchens verteilt. Doch bereits in diesem Jahr werden achttausend Filmtermine erwartet — und die Hoffnung sinkt: Zwischen 1987 und 1990 sackten die Quoten des einstigen Quotenkillers Film um 31 (ARD) bis 39 Prozent (ZDF) überprportional ab. Angesichts der Lage wagte die Frankfurter ARD- Filmredaktion auf ihrer Pressekonferenz den noch 2989 beschworenen „Erlebnis-Charakter“ nicht mehr zu erwähnen. Es gebe mittlerweile den „Abstumpfungseffekt“, klagt Redaktionsleiter Klaus Kakschéwitz. In der Masse hilft nur Klasse. Reihen und Retrospketiven sollen„ Lust daran erwecken, Zusammenhänge zu erkennen und Entdeckungen zu machen“. Zudem speckte die ARD ab: Nicht beim Kessel Buntes, sondern bei der Filmmenge. 365 Werke (1991: 378) kommen in die TV- Röhre. Die Angebote reichen vom Kramladen „Sommer-Thriller“ (immerhin mit dem letzten Auftritt Bette Davis im „Tanz der Hexen“) und der nicht viel aufregenderen „Freitagts- Premiere“ („Schmieß die Mama aus dem Zug“) bis zum „Nachstudio“ (künftig mitewochs um 23.05 Uhr), das besonsers mit den Franzosen flirtet („Frühlingserzählungen“), aber im Mai auch den „Fahrradfahrer zeigt vom Moshen Makhmalbaf, Irans populärstem Regisseur. Abseits der Groschenheft-Dramaturgie sind Werke aus Mexiko, Hollywood, der Sowjetunion sowie Italien zu sehen. Entsprechend dem Konzeipt der „Kristallisation“ werden wieder etliche Personality-Reihen laufen, auch wenn so manche Hommage in erster Linie dem MGM-Studio gewidmet ist aus dessen Lizenzkauf-Paket järhalich 70 neue Filme frei werden. Die Faustregel der Branche lautet, das auf einen guten und/odcer aktuellen Titel neun weitere fallen, die mitgekauft werden müssen. Neben Geburtstagsgeschenken an Robert Mitchum, Eddie Constanitne und Heinz Rühmann gibt es Streifen zum „Traumpaar der 30er und 40er“ Myrna Loy & William Powell sowie Gemsichtwaren mit Charle3s Bronson, Michael Caine, Tom Cruise und Nick Nolte. Profilierter sind Robert van Ackerens frühe Subkultur-Skizzen, dazu kommen Volker Schlöndorffs Literaturfilme, Woody Allen sowie der Action-Veteran Andrew L. Stone. „Elektirisierend und prickelnd wie eine Schnitzeljagd“ nannte nannte ein Kritiker Stones Thriller. Ähnlich sieht das Script offenbar bei den ARD-Deals mit den Filmvertreibern aus. Da dürfen die Frankfurtewr für ihr traditionsreiches „Film- Festival nur ein mit „Cinema Paradiso“ und „Sex, Lügen & Vide“ Programmhäppchen ankündigen und „versichern, daß weitere glanzvolle Titel auf dem Programm stehen“. „Vertragsschädigende Vorankündigung“ heißt das juristische Schlagwort in der Kino-, Video- und Pay- TV-Branche. Ganz anders bei den Privaten: RTL plus kündigte seinen Metga-Deal „Terminator II“ nicht nur lässig an, es zeigte bereits ein profanes PR-Filmchen passend zum Kino-Star. Keine Probleme hatten unlängst auch Pro 7 und SAT.1 als sie gekaufte Filmtitel ankündigten, die noch im Kino liefen.

Schätzungsweilse 500.000 Mark sind derzeit für Filmrechte auf den Tisch von Kirch & Co. hinzulegen. So stieg denna uch die ARD aus, als ihr das Ereignis „Twin Peaks" angeboten wurde. Mit beigetragen zum Preis-Poker hat auch die Rezession auf dem US-Fernsehmarkt. Die drei großen Sender haben nur noch einen Anteil von zwei Dritteln der Einschlatquoten, die Programme amortisieren sich längst nicht mehr allein auf dem Binnenmarkt. Geht es nach den Programm-Machern, hat der Spielfilm „total versagt“, wie ZDF- Programmdirektor Owald Ring auf der IFA verkündete und forderte, es müsse zum „offenen Schlagabtausch“ mit den Privaten kommen. Da setzt er unisono mit seinem ARD- Kolleögen Schwarzkopf besonders auf eigenproduzierte Serien, deren Attraktivität „hauptsächlich auf der sozialen und kulturellen Nähe zum Publikum beruht.“. Doch wohin die Reise wirklichg geht, verrät Ring mit der Forderung, es dürfe künftig „keine Schutzräume für anspruchsvolle Minderheitenprogramme“ mehr geben — was eindrucksvoll die Demontage des ZDF-„Filmfestes am Mittwoch“ bewies. Anspruchsvolle Filme dürfen die Mainzer 1992 nun donnerstags in der „Blindenecke“ ab 23.45 Uhr ausstrahlen. Knapp zwei Millionen Zuschauer mit der bekam Pro 7 mit der Oldie- Klamotte „Das kann doch unseren Willi micht erschüttern““ — — genauso viel, wie das aufwendige ZDF-Umweltspektakel „Vision“. Demgegenüber erreicht selbst der letzte ARD-Nachtstudio-Film mit 800.000 Zuschauern mehr als es je im Kino möglich wäre. Im Run auf große Quoten und kleine Preise möchte der Hase gern ein Igel sein. B. Picture