: Kohls brasilianische Versprechungen
Mehr Geld, dafür weniger Schulden und EG-Protektionismus in Aussicht gestellt ■ Aus Rio de Janeiro A. Prange
Das krisengeschüttelte Brasilien scheint einen Fürsprecher gefunden zu haben. Während seiner achttägigen Reise durch das südamerikanische Land kündigte Helmut Kohl an, sich künftig mit seinem ganzen Gewicht als gesamtdeutscher Kanzler für brasilianische Belange einsetzen zu wollen: Dazu gehört nach seiner Ansicht der Abbau der Agrarsubventionen in der EG ebenso wie der Nachlaß der brasilianischen Auslandsschulden gegenüber den Gläubigerstaaten, die im Pariser Klub zusammengeschlossen sind.
Ein Freund des Regenwaldes
Kohl entdeckte fern der Heimat in Brasilien auch seine ökologische Ader, versprach er doch, beim Weltwirtschaftsgipfel im nächsten Jahr in München Druck auf die Industrieländer auszuüben, endlich etwas für den Erhalt der tropischen Regenwälder zu tun.
Kohls Besuch in Lateinamerika — vor seinem Aufenthalt in Brasilien war er drei Tage durch Chile gereist — zielte in erster Linie darauf ab, verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Denn obwohl die Bundesrepublik nach den USA und Japan mit insgesamt 5,6 Milliarden Dollar der drittgrößte Investor Brasiliens ist und der wichtigste Handelspartner in der EG, hat Brasilien seit der Reise von Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt 1978 keinen höheren Besuch aus Deutschland mehr bekommen.
Für die ins Stocken geratene deutsch-brasilianische Zusammenarbeit gibt es mehrere Gründe: schleppende Schuldenverhandlungen, Protektismus auf beiden Seiten und die allgemeine wirtschaftliche Instabilität. Zwischen 1983 und 1988 kam die deutsche Entwicklungshilfe sogar ganz zum Erliegen, weil Brasilien als „Schwellenland“ eingestuft wurde.
Daß der Graben zwischen Brasilien und der sogenannten Ersten Welt nicht kleiner, sondern immer größer wird, dieser Erkenntnis mochten sich Kohl und seine 150 Begleiter — darunter 80 Journalisten — nach der einwöchigen Tour durch den Kontinent nicht verschließen. Wo er nicht großzügig Gelder vergab, sah Kohl zumindest zu Versprechungen genötigt.
In Sao Paulo bedachte er zum Beispiel den Gouverneur Luiz Antonio Fleury Filho mit 20 Millionen Mark zur Wiederaufforstung des zerstörten Küstenwaldes „Mata Atlantica“. Sein Freund Erzbischof Paulo Evaristo Arns, ein Anhänger der Befreiungstheologie, konnte ihm 120.000 Mark für die Behandlung von Drogenabhängigen und die Errichtung eines Ausbildungszentrums entlocken. Gouverneur Leonel Brizola hofft darauf, daß der Kanzler ihm kurz vor seinem Abflug noch zehn Millionen Mark für die Sanierung der größten Favela Lateinamerikas in Rio, „Rocinha“, gewährt.
Merkwürdigerweise haben die Brasilianer trotz ihres ernormen Kapitalbedarfes von den bisher bewilligten 250 Millionen Mark Entwicklungshilfe aus Deutschland kaum Gebrauch gemacht. So schmoren elf Abkommen im Wert von rund 170 Millionen Mark in den Schubladen brasilianischer Ministerien. Damit sollten unter anderem Selbsthilfeprojekte, die Elektrifizierung ländlicher Gegenden sowie der Ausbau von Kanalisationsystemen unterstützt werden.
Konfusion im brasilianischen Kongreß
Die Verwirrung entstand, weil seit der Verabschiedung der neuen brasilianischen Verfassung im Oktober 1988 jedes Entwicklungshilfeprojekt von der Zustimmung des brasilianischen Kongresses abhängt. „Bis jetzt sind die Abkommensentwürfe jedoch nicht einmal dem Kongreß zugeleitet worden“, erklärt Reinhard Tittel-Gronefeld, zuständig für die technische und finanzielle Zusammenarbeit in der deutschen Botschaft in Brasilia. Für 1992 und 1993 seien weitere 100 Millionen Mark Entwicklungshilfe vorgesehen.
Überhaupt schien das Interesse der Deutschen an den Brasilianern größer zu sein als umgekehrt. Die brasilianische Presse nahm den Besuch von Kohl kaum zur Kenntnis. Zur Ehrung des ersten gesamtdeutschen Kanzlers im brasilianischen Kongreß erschienen gerade 20 Abgeordnete.
Die Brasilianer scheinen der oft leeren Versprechungen von Politikern aus der Ersten Welt überdrüssig zu sein. So ist vorauszusehen, daß auch Kohl der Vergessenheit anheim fallen wird, wenn seine großen Ankündigungen sich nicht verwirklichen. Sollte es ihm beim EG-Gipfel im Dezember in Maastrich nicht gelinden, die Agrarsubventionen merklich zu reduzieren, wird seine Brasilienreise hier bald der Vergessenheit anheim fallen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen