Ab mit den kranken Kindern in den Gärkeller

■ In Kiel dürfen keuchhustenkranke Kinder in die Brauerei, um den Heilungsprozeß zu fördern — im Berlin gibt es diese sinnvolle Einrichtung nicht mehr/ Was die Heilung fördert, ist noch weitgehend ungeklärt

Kiel. In riesengroßen Bottichen wird Bier gebraut. Obenauf schwimmt die Hefe auf der Flüssigkeit, die nach der Gärung in Sixpacks dem allabendlichen Umtrunk deutscher Familien dient. Der ganze Gärkeller riecht nach Bierherstellung. Die Luft ist feucht und kühl. Bis vor ein paar Jahren liefen in der Kieler Holsten-Brauerei immer ein paar Kinder zwischen den Gärbottichen umher und atmeten tief durch. Heute wird die Luft aus den Bottichen abgesaugt und in einen Nebenraum geleitet.

Seit »ewigen Zeiten«, wie ein Brauer mitteilt, stellt die Kieler Brauerei keuchhustenkranken Kindern die »gute Brauereiluft« unentgeltlich zur Verfügung. Das Angebot wird von zahlreichen Eltern genutzt. »Wir haben nur Positives gehört«, sagt der Brauer. »Die Kinder kommen zweimal in der Woche, und bei fast allen wird der Husten dann erst mal besser.«

Wer die Idee hatte, Kinder zwecks Hustenlinderung in einen Gärkeller zu stellen, weiß in Kiel heute niemand mehr. Beim Brauen werde »alles mögliche an heilungsintensiven Stoffen frei«, mutmaßt ein Brauereisprecher. Der Sauerstoff in der Luft werde durch die »bis heute noch unerforschte« Hefe mit Bakterien angereichert, die den Heilungsprozeß fördern, so der Sprecher. Die Entscheidung, ob ein Kind den regelmäßigen Gang in die Gärkeller antritt, trifft der zuständige Kinderarzt.

Die medizinischen Einschätzungen der unkonventionellen Heilmethode gehen auseinander. Gesicherte Erkenntnisse über Heilungserfolge gäbe es nicht, sagt Oberarzt Eggert von der Kieler Universitätskinderklinik. Vermutlich spiele auch die Tradition eine große Rolle. Eine Behandlung mit Antibiotika ersetzten die Stunden im Gärkeller sicherlich nicht. Einige Kollegen würden allerdings auch auf den »Geheimtip Gärkeller« schwören.

»Die Methode liegt auch im Trend der Zeit. Viele Eltern suchen in den letzten Jahren nach alternativen Methoden. »Antibiotika sind heute leicht verpönt«, sagt Eggert.

Ebensogut wie in den Gärkeller könne man die Kinder auch in eine Tropfsteinhöhle führen, erzählt ein ehemaliger Professor der Kinderklinik. Die feuchte Luft im Gärkeller sei stark kohlensäurehaltig. Kohlensäure wiederum wirke antriebsfördernd auf das Atemzentrum. Am effektivsten seien die Gärkeller bei Keuchhusten im abklingenden Stadium. Die Brauereiluft wirke dann ebenso wie ein Klimawechsel. »Wenn man in den Bergen wohnt, geht man halt in die Höhlen. Aber hier in der Großstadt bleibt einem nur der Weg in die Keller der Brauerei.« Als zusätzliche Maßnahme lasse sich die Brauerei-Methode gegen trockenen Reizhusten sicherlich empfehlen.

In Berlin sucht man eine solche Einrichtung heutzutage freilich vergebens. Dabei waren auch in der Berliner Schultheiss-Brauerei die Gärkeller bis vor einigen Jahren für keuchhustenkranke Kinder offen. Aus sicherheitstechnischen Gründen habe man die Methode allerdings dann aufgegeben und die Behandlung an die Krankenhäuser zurückgegeben, teilte eine Sprecherin mit. jgo