: Bremens persönliches Fotoalbum
■ Neuer Bildband von Georg Schmidt über Bremens „Harte und wilde Zeiten“
„Harte und wilde Zeiten“ begleitete der Bremer Pressefotograf Georg Schmidt mit seiner Kamera. „Harte und wilde Zeiten“ ist der Titel seines Buches mit Bildern aus den 50er und 60er Jahren in Bremen, als aus der Nachkriegszeit die Zeit des Wirtschaftswunders wurde, als die Ärmel aufgekrempelt wurden und die ersten großen Pleiten die Stadt erschütterten. Gestern stellte Georg Schmidt, assistiert von den Zeitzeugen Senator a.D. Horst-Werner Franke, der Bremer Tanzschulleiterin Gertrud Ehlers und dem 1. Vorsitzenden des Bremer Presse-Clubs Wolfgang Schumacher, sein Buch im Presse-Club der Öffentlichkeit vor. Schumacher blickte zurück auf die Enttäuschungen und Hoffnungen des Wiederbeginns, angefangen bei den Ratten- und Läuseplagen jener Tage und der ersten großen Koalition von 1951, mit der Bürgermeister Kaisen auf den Rechtsruck bei den damaligen Wahlen reagierte.
Übersichtlich zeigt das Buch mit 229 Aufnahmen 20 Jahre Bremer Geschichte. Jedes Jahr ist ein Kapitel für sich und zeigt die großen Ereignisse des Zeitgeschehens genauso wie die Veränderungen im Alltagsleben. Die Fotografien zeigen wie man in den Tanzschulen Jitterbug und Boogie-Woogie lernte, wie die Kriegsversehrten begannen Sport zu treiben, wie die alten Traditionen der Schaffermahlzeit und der Eiswette wieder auflebten. Die erste „Isabella“, die mit Blumengirlanden geschmückt das Borgward-Werk verließ, hielt Georg Schmidt genauso fest wie die Grundsteinlegung der Gartenstadt Vahr, für die, wie Senator Franke bei der gestrigen Buchvorstellung bemerkte, noch bei der späteren Einweihung kein Bebauungsplan vorlag: Bremen war das einzige Bundesland, in dem es nach dem Krieg ein Gesetz zur Behebung der Wohnungsnot gab.
Ein wichtiges Ereignis 1958 war die Ankunft Elvis Presleys in Bremerhaven. Horst Vetter führte für Radio Bremen das Kurzinterview mit dem King, hier im vollständigen Wortlaut. Vetter: „Hallo, Elvis! „, Antwort: „Hello!“
Die Vorstellung des Buches geriet gestern zum lebendigen Geschichtsunterricht. Rückblickend war es denn auch leicht sich zu wundern, daß 1961 die Borgward-Werke mit einem Kredit von 10 Millionen Mark überlebt hätten, „dafür kriegt man heute nur noch ein paar Toilettenhäuschen“, warf Franke ein. Besonders die drei wilden Tage der Straßenbahnblockade im Januar 1968 weckten gestern im Kreise der Zeitzeugen lebhafte Erinnerungen. Die Verkehrsbetriebe wollten die Fahrpreise erhöhen und lösten damit einen Protest aus, der, laut Franke, in Bremen für einige Tage zur völligen Abdankung der Staatsautorität führte. Franke erinnerte an die Debatten in der Bürgerschaft, wo dem damaligen Innensenator Löbert vorgeworfen wurde: „Franz! Die Straße regiert!“ Aber der antwortete:“ Wenn ich noch mehr machen soll, muß ich schießen“. Soweit ließ er es nicht kommen, doch wie brutal die Polzei auf die DemonstrantInnen einprügelte, belegen die Fotos Georg Schmidts.
Nach dem ersten Bildband „Als Bremen amerikanisch war“, der die ersten Nachkriegsjahren zeigt, setzt Georg Schmidt mit „Harte und wilde Zeiten“ seine Art von Geschichtsunterricht in Bildern fort, den er mit sehr persönlichen und informativen Texten. Diejenigen, die die 50er und 60er Jahre in Bremen bewußt erlebt haben, mögen das Buch wie ein persönliches Fotoalbum empfinden. Jüngere können sich beispielsweise darüber wundern, daß man schon 1968 in der „Lila Eule“ abrockte. Julia Kossmann
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