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Schalck-Talks „mit viel Cremetorte und Kaffee“

Vor dem Bonner Schalck-Ausschuß berichteten Ex-Emissäre der Bundesregierung über ihre Treffs mit Alexander Schalck-Golodkowski/ Als Leiter der Ständigen Vertretung traf Günter Gaus Schalck 100 bis 150 Mal  ■ Aus Bonn Th. Scheuer

Dem neuen Unterhändler der Gegenseite war offenbar ein starker Hang zum Konspirativen eigen: Zur ersten Kontaktaufnahme, etwa um die Jahreswende 1975/76, wurde Günter Gaus, damals ständiger Vertreter der Bundesregierung in der DDR, telefonisch auf einen Ostberliner Parkplatz bestellt. „Ich fand das eher komisch“, erinnert sich Gaus heute. Auf dem Parkplatz kreuzte alsbald ein weißer Volvo auf und gab Lichtzeichen. Am Steuer saß Alexander Schalck-Golodkowski. Der kurvte den Bonner Emissär zu sich nach Hause; der Vertraulichkeit wegen. In Schalcks Privatwohnung (Gaus: „außerordentlich gutbürgerlich“) kamen die beiden Männer dann zur deutsch-deutschen Sache — „mit viel Buttercremetorte und Kaffee“.

Nicht Schalck, dem verruchten Waffenhändler, nicht Schalck, dem Schwarzgeldjongleur und mafiosen Tarnfirmenchef, sondern Schalck, dem honorigen Diplomaten, der als offizieller Unterhändler Honeckers über Jahre hinweg mit hohen Vertretern der Bonner Regierung diskrete Verhandlungen führte, galt am Mittwoch und Donnerstag das Interesse des Schalck-Untersuchungsausschusses. Als Zeugen geladen waren drei frühere Gesprächspartner Schalcks: Günter Gaus und Klaus Bölling, beide zu sozialliberalen Zeiten ständige Vertreter der Bundesregierung in Ost-Berlin, sowie Seiters, Kohls Kanzleramtsminister und designierter Bundesinnenminister.

Die beiden Ex-Journalisten Gaus und Bölling müssen Schalck durch verschiedene Brillen gesehen haben. Gaus bezeichnete ihn als einen „angenehmen und kompetenten Verhandlungspartner“; Bölling erlebte ihn als „phantasievoll, fintenreich und eisenhart“. Auch will Gaus — im Gegensatz zu seinem Nachfolger Bölling — seinerzeit nicht vom Bundesnachrichtendienst über seinen Gesprächspartner ins Bild gesetzt worden sein. Während Gaus offenbar „eine etwas bessere Chemie mit dem Mann hatte“, wie der SPD-Abgeordnete von Bülow es formulierte, wurde Bölling offenbar auch auf Schalcks Schattenseiten aufmerksam: Im Privatgespräch mit der Witwe eines Malers erfuhr er etwa, daß „der Staat“ ihr den Bildernachlaß ihres verstorbenen Mannes geklaut habe. Später wurde Bölling zugetragen, daß sein Verhandlungspartner Schalck in solchen Geschäften „die Finger drin“ habe.

Konfusion unter den Ausschußmitgliedern lösten die Angaben der beiden Zeugen über die Anzahl ihrer Schalck-Meetings aus. Während Gaus, der der Bonner Mission in Ost- Berlin von 19781 bis 1974 vorstand, zu Protokoll gab, in dieser Zeit etwa 100 bis 150 Mal mit Schalck verhandelt zu haben, hatte das Kanzleramt auf einer für den Ausschuß zusammengestellten Liste nur 54 Gespräche vermerkt. Sein Nachfolger Bölling wiederum bestand darauf, sich in seiner nur 14monatigen Amtszeit nur viermal mit Schalck getroffen zu haben, während das Kanzleramt 15 Gespräche und zwei Telefonate verzeichnet hatte.

Weder Erkenntnis- noch Unterhaltungswert enthielt die Vernehmung des Kanzleramtsministers Rudolfs Seiters, der mit Schalck zwischen Mai und Dezember 1989 mehrmals namens der Bundesregierung verhandelt hatte. Dabei sei es um Terminabsprachen und nach dem Fall der Mauer um die Einrichtung des Reisedevisenfonds und die Abschaffung von Visumzwang und Mindestumtausch für die Bundesbürger bei Besuchen in der damaligen DDR gegangen. Seiters gab seinen Eindruck wieder, daß Schalcks Einfluß unter Egon Krenz noch gestiegen sei. Zuletzt habe Schalck die Lage der DDR aber recht pessimistisch beurteilt. Über seine Fluchtabsichten in den Westen, so Seiters, habe sich Schalck ihm gegenüber nie geäußert. Auch beim letzten telefonischen Kontakt am 2. Dezember 1989, also einen Tag vor Schalcks Flucht, sei darüber nicht gesprochen worden. Über die Kontakte des Bundesnachrichtendienstes mit Schalck konnte Seiters, der seine vorgefertigten Antowrten teilweise vom Blatt ablas, ebenfalls nichts beitragen. Er sei damit nicht befaßt gewesen.

Den Komplex der deutsch-deutschen Unterhändlertätigkeit Schalcks will der Untersuchungsausschuß möglichst noch in diesem Jahr abschließen. Dazu sollen in den kommenden Wochen noch mehrere Bundesminister vernommen werden. Im November sollen Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU), Justizminister Klaus Kinkel (FDP) und Verkehrsminister Günther Krause (CDU) vor dem Ausschuß antreten. Für den 4. Dezember ist die Befragung des Staatsministers im Kanzleramt Lutz Stavenhagen (CDU) vorgesehen. Bei dessen Vernehmung wird die Frage im Vordergrund stehen, wann Stavenhagen über die Ausstellung falscher Pässe für Schalck und seine Ehefrau auf deren Mädchennamen Gutmann durch den Bundesnachrichtendienst informiert war.

Ausschuß in Bayern

Mit den Umtrieben Schalcks beschäftigen sich jetzt zwei parlamentarische Untersuchungsausschüsse: Parallel zum U-Ausschuß des Bundestages in Bonn nahm am Mittwoch in München ein Untersuchungsausschuß des bayerischen Landtags seine Arbeit auf. Neben Akten der bayerischen Staatsregierung, des Landeskriminalamtes und des Verfassungsschutzes wollen die Parlamentarier dort auch die Unterlagen der CSU und der CSU-nahen Hanns- Seidel-Stiftung wegen der Kontakte des früheren Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß zu Schalck unter die Lupe nehmen. Dies beschloß das 15köpfige Gremium am Mittwoch in seiner konstituierenden Sitzung. Die CSU-Vertreter im Ausschuß, so Vorsitzender Manfred Weiß (CSU), haben diesem Wunsch der Opposition nachgegeben, da nicht der Verdacht entstehen sollte, „daß etwas verschleiert wird“. Welche Zeugen der bayerische Ausschuß hören wird, soll erst im Januar beschlossen werden. Mit Sicherheit wird Schalck selbst geladen werden. „Darauf können Sie Gift nehmen“, sagte SPD- Fraktionschef Karl-Heinz Hiersemann.

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