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Barocke Konstruktion und feudale Geometrie

■ Städtebauliche Anmerkungen zum Rogers-Entwurf für den Potsdamer Platz/ Die Stadt als Lesebuch ist ausgelöscht und ersetzt durch eine Komposition der Beliebigkeit/ Die angebotene Ordnung: ein monumentaler Strahlenkranz/ Geschickte Staffelung von sehr hohen Geschoßzahlen

Hinter der Leichtigkeit verbirgt sich eine bauliche Dichte, die vom Senat Ausnahmeregelungen verlangt. Jeder, der das Konzept des Rogers- Teams zum ersten Mal sieht, ist erstaunt von der Leichtigkeit, die das Modell ausstrahlt. Im Gegensatz dazu stehen die angestrengten Konzepte des Wettbewerbs, bei dem jede Arbeit voller Brüche und Widersprüche zu sein scheint und der Sprung in eine neue Dimension von Hochhäusern unvermittelt und verkrampft wirkt. Wie kommt diese Wirkung zustande und was ist ihr Preis?

Monumentalität und Naivität in einem

Die Ruhe und scheinbare Plausibilität im Konzept des Rogers-Teams wird erzeugt durch eine barocke Konstruktion feudaler Geometrie, die den Schnittpunkt der Straßenachsen Bellevuestraße, (alte) Potsdamer Straße und Leipziger Straße als imaginäres Zentrum einer neuen Kreisfigur nutzt, von der aus das gesamte Gebiet neu geordnet wird. So wurden unter Ludwig XIV. (Versailles) oder deutschen Kleinfürsten (Karlsruhe) Stadtpläne entworfen mit dem Unterschied, daß im Mittelpunkt tatsächlich das Schloß stand.

Ein erster, grundlegender Widersinn des Konzepts besteht darin, daß die Verfasser an der städtebaulichen Nahtstelle zwischen ehemalig barocker Stadt (Leipziger Platz) und neuzeitlicher Stadt (Potsdamer Platz) ein Stück barocker Stadterweiterung inszenieren, so als wollten sie die Geschichte nachträglich korrigieren und die barocke Stadt erst an der heutigen Entlastungsstraße schroff enden lassen — dabei lebte der Potsdamer Platz bekanntlich davon, daß er das vitale, nervösere, neue Stück Stadt vor den ehemaligen Toren der feudalen Stadt war.

Eine solche Manipulation im Stadtgrundriß ist natürlich nicht ohne außerordentliche Gewaltanwendung zu realisieren. Geopfert werden dieser neuen Figur der Potsdamer Platz in seiner alten Fassung, die Konturen des ehemaligen Bahnhofsgeländes, die Linkstraße in ihrer historischen, heute noch vorhandenen Trasse und der heutige Verlauf der verlängerten Potsdamer Straße. Nicht mehr zu finden sind die historischen Spuren, wie das Weinhaus Huth oder das Fragment des Hotels Esplanade. Nach dem Standort des ehemaligen Volksgerichtshofs, der Reichskanzlei und dem Verlauf der Mauer wagt man gar nicht mehr zu fragen.

Die Stadt als Lesebuch ist an dieser Stelle ausgelöscht und ersetzt durch eine Komposition der Beliebigkeit, die in gleicher Form auch als Entrée für den Flughafen Schönefeld genutzt werden könnte. Der Anspruch der »Kritischen Rekonstruktion der Stadt« (IBA) ist aufgegeben, der sorgfältige Umgang mit dem historischen Stadtgrundriß ist aus dem Katalog der städtebaulichen Ziele gestrichen.

Im stillen hat man natürlich immer angenommen, daß große Konzerne über eine stilistische Sensibilität verfügten, die ihnen jeden Rückgriff auf feudale Zeichensetzungen verböte, aber ganz offensichtlich täuscht man sich da, wie schon die neue schwäbische Konzernzentrale von Daimler-Benz gezeigt hat.

Natürlich ist die neu angebotene Ordnung, der Strahlenkranz, monumental und hohl. Die Strahlen laufen alle auf einen mit einem Untergrundbahnhof (»In die Tiefe«) verbundenen Aussichtsturm (»In die Höhe«), von dem aus man nichts sehen kann, denn die neu konstruierten Strahlen führen bekanntlich ins Zufällige: die neu ausgerichtete Linkstraße zum verstauten Kanalufer, die alte Potsdamer Straße auf einen zufälligen Rückseitenausschnitt der Staatsbibliothek, die erneut verlegte Potsdamer Straße auf die Südterrassen des Kammermusiksaals und die Bellevuestraße auf den gestaltlos gewordenen Kreuzpunkt von Tiergarten- und Entlastungsstraße (ehemaliger Kemperplatz). Der Entwurf des Rogers-Teams zeigt keinerlei Ansatz, das Schloß Bellevue visuell zu erreichen, was bekanntermaßen auch sehr schwer sein dürfte.

Die barocke Neuschöpfung ist darum ein merkwürdiges Gemisch aus monumentalem Gehabe, Naivität und Angst vor der wirklichen Komplexität des Ortes. Geschaffen werden soll ein Stehkreis der Giganten (»König Artus' Tafelrunde«) mit Vorhöfen zur Unterhaltung des Volkes. Eine solche Stadtkomposition hat mit den ästhetischen Prinzipien der Moderne und Kritischen Moderne wenig zu tun, und auch zur Postmoderne wird man sie nicht rechnen können, weil ihr jede Spur von Ironie fehlt. Hollywood?

Versteckspiel mit der baulichen Dichte

Das Strahlenkonzept des Rogers- Teams erfordert in vieler Hinsicht eine kritische Überprüfung. So dürften zum Beispiel die angebotene Vielzahl (etwa 15) von strahlenförmig angelegten Wegen zwischen Köthener Straße und Ebertstraße für die praktische Benutzung eher verwirrend und hinderlich sein als ein Wegesystem an den vorhandenen Blockrändern.

Erst wenn man sich sehr ausführlich mit dem leicht und elegant wirkenden Entwurf auseinandersetzt, entdeckt man, daß er mit seiner geschickten Staffelung außerordentlich hohe Geschoßzahlen (Gebäudehöhen), aber auch außerordentliche Gebäudetiefen erreicht, die in der praktischen Umsetzung zu ganz anderen Wirkungen und einer Vielzahl von Problemen führen müssen.

Sofern man den Schnittzeichnungen und dem Modell glauben kann — bezeichnenderweise sind in die Pläne keine Geschoßzahlen eingetragen —, staffeln sich die einzelnen Segmente bis zu 12- und 14geschossigen Baukörpern, je nachdem wie lang die einzelnen Ausschnitte sind, und bilden an der hinter der Staatsbibliothek entlanggeführten Entlastungsstraße eine schroffe 50 bis 60 Meter hohe Abschlußkante, die weit über die Höhenvorstellugen des Preisträgers Hilmer und Sattler (35 Meter) und den monumentalen Magazinkörper der Staatsbibliothek (40 Meter) herausragen. Durch diese Geschoßzahlen und die zwischen die Segmente gestellten Hochhäuser erhält die Entlastungsstraße das städtebauliche Pathos eines Generalzuges, was an dieser Stelle mit Sicherheit zu einem weiteren Auseinanderbrechen von städtebaulicher Form und strukturellem Gehalt führen würde.

Auch das Hochhausthema ist im Konzept des Rogers-Teams überaus raffiniert eingefädelt. Eingestellt in die Höfe der 50 Meter hohen Blöcke, mit weniger als 10 Meter Abstand zur Randbebauung, ragen die 100 bis 120 Meter hohen Türme nur noch 50 Meter über das niedrigere Ensemble. Der Rest sind Terrassen, Mediengehäuse und Antennen. Das wirkt harmlos.

Aber wer soll in den 10 bis 14 unteren Geschossen oder in der 30 bis 50 Meter tiefen Randbebauung arbeiten? Und welche Vorstellungen von modernen Arbeitsplätzen verbergen sich hinter diesem Entwurfskonzept?

Zu den professionellsten Leistungen des Entwurfs gehört, daß er, vor allem durch seine Staffeltechnik, vergleichsweise wenig dicht wirkt, aber durch versteckte Gebäudehöhen und -tiefen die absolut höchste Baudichte aller zur Zeit ausgestellten Entwürfe erreicht. Eine überschlägige Nachrechnung für das Mercedesgelände ergibt, daß je nach Annahmen für die Geschoßzahlen über 400.000 oder aber mindestens 360.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche erreicht werden, 50 Prozent mehr als in der Ausschreibung des Wettbewerbs verlangt wird.

Man muß sich dieses Ergebnis auf der Zunge zergehen lassen, und es ist keineswegs überraschend, daß Mercedes schon beim Bausenator zwecks Erhöhung seiner Ausnutzungsziffer vorstellig geworden ist.

Der Aufgabe des Ortes verweigert

Die in vielen begeisterten Elogen als perfekt dargestellte Verkehrslösung ist in dem ausgestellten Konzept nur drei kleinen Diagrammen zu entnehmen — in den großen Repräsentationszeichnungen jedoch weder dargestellt noch nachvollziehbar.

Deutlich erkennbar sind folgende Grundzüge: Im Mittelpunkt der neuen Kreisanlage liegt ein unterirdischer Bahnhofskomplex (S-Bahn, U-Bahn, Fernbahn), zu dem alle Wege führen. Der übergeordnete motorisierte Durchgangsverkehr wird aus dem Gebiet herausgehalten. Nur ein heruntergestufter Verkehr zur unmittelbaren Gebäudeerschließung erreicht den Potsdamer Platz und seine Parkhäuser.

Im einzelnen lassen sich folgende Vorschläge für den Straßenverkehr nachvollziehen: Der Nord-Süd-Verkehr wird in den oft geplanten, aber noch nie beschlossenen Tiergartentunnel verlegt, mit Ein- und Ausfahrten im Gleisdreieck-Gelände, also ohne Anbindung an die Kanaluferstraßen. Über der Erde verbleiben eine verlängerte Entlastungsstraße als Abfangstraße sowie die Nord- Süd-Straßen der Friedrichstadt. Die Stresemann- und Ebertstraße bleiben als Zuführungen zum Platz erhalten. Ihre Verbindung ist jedoch durch die neu geschaffene, halbkreisförmige Platzanlage kompliziert.

Der täglich wachsende Ost-West- Verkehr wird vollständig aus dem Gebiet verbannt und über das Straßennetz der Friedrichstraße, bzw. Entlastungsstraße nach Norden und Süden verteilt. Der von Osten kommende Benutzer der Leipziger Straße trifft auf dem Leipziger Platz auf eine Sackgassensituation. Der von Westen kommende Autofahrer wird auf die Entlastungsstraße verwiesen. Wie auf dieser so überstrapazierten Straße das Links- und Rechtsabbiegen zur inneren Erschließung des Konzernareals organisiert werden soll, ohne den 24-Stunden-Stau zu erzeugen, bleibt das Geheimnis der beteiligten Verkehrsplaner.

Wenn nicht jedes städtebauliche Konzept prinzipiell verschiedene Verkehrslösungen erlauben würde, müßte man aus dem vorliegenden Konzept folgenden Schluß ableiten: Die Investoren und ihr Architekt ignorieren nicht nur die historischen Prozesse und Kraftlinien, die das Gebiet geprägt haben, sondern sie verweigern sich auch den vitalen Funktionsbeziehungen, die die lange geteilte Stadt zusammenhalten und sich im Bereich des Potsdamer Platzes bündeln, um hier ihre Repräsentationsstätten zu errichten.

Man könnte entschuldigend sagen, mit den Ideen zum Verkehrskonzept sollen Anstöße für eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik gegeben werden, die die Spielräume für den Individualverkehr grundsätzlich einschränken. Aber dann stört das große Angebot an Parkplätzen.

Ob darüber hinaus die zentrale Verbindungsstelle zwischen Ost und West — der Potsdamer Platz — sich für solche Demonstrationen eignet und von seiner Funktion für den Autofahrer einfach entlassen werden kann, muß selbst von engagierten Streitern für eine Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs bezweifelt werden. Wulf Eichstädt

Der Autor war lange Jahre in der Stadterneuerung Kreuzbergs engagiert, davor Mitarbeiter der Altbau- IBA und ist jetzt Stadtplaner in beiden Teilen der Stadt

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