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Zu streng gescheitelt

Neue und ältere Bücher über Clara S.  ■ Von Elisabeth Eleonore Bauer

Sie wandert von Hand zu Hand für einen Hunderter. Nie war sie so wertvoll wie heute. Und niemals zuvor ist sie derart in aller Munde gewesen, vieltausendfach täglich von hinten beleckt und vorne auf Brief und Päckchen geklebt: Clara Schumann. Einst Galionsfigur der Frauenmusikbewegung — heute eine in Mark und auf Marken öffentlich gehandelte Persönlichkeit. Na, wenn das kein Erfolg ist für die Emanzipation der Frau in der Musik!

Aber auch auf tiefer gefühlte und weitaus ergreifendere Weise ist Clara Schumann längst in Serie gegangen: als liebstes Lustobjekt moderner Damenliteratur. Von Jelineks Theaterstück bis zu Weissweilers Kolportageroman — alle Jahre wieder sind neue Bekenntnisse zu und Erkenntnisse über Clara S. auf dem Büchermarkt zu begrüßen. Vor allem Eva Weissweilers Werk hat, hochbejubelt und vielbesprochen, dafür gesorgt, daß vom taz- bis zum Spiegelleser jeder Mann und jede Frau bestens über unsere Clara im Bilde sind. Daß es sich dabei eher um das ganz private Wunschbild der Biographin Weissweiler handelt, und daß die Komponistin Schumann, kaum für die Öffentlichkeit entdeckt, schon wieder hinter einem Wald von Projektionen und Anekdoten zu verschwinden droht — was macht das schon, angesichts der Macht des Populären? Um wieviel wichtiger ist es doch, daß wir neben den vielen Mannsbildern in der Musik endlich auch ein gültiges Frauenbild haben — daß wir nicht nur wissen: Ludwig van war stets unwirsch und ungekämmt, sondern endlich auch: Clara S. war „seelenlos“ und stets zu „streng gescheitelt“. Das ist natürlich längst nicht alles. Nun aber nochmals all die verbogenen Fakten und Falschmeldungen aufzulisten, die diese Clara-Schwarte vor Jahr und Tag so gefährlich erfolgreich gemacht haben — geschenkt: Es würde sowieso nichts mehr nutzen. Nur dreierlei sei nachträglich angemerkt: Was immer die Motive der Autorin gewesen sein mögen, eine Anfang der achtziger Jahre noch von ihr selbst hochverehrte Ikone und Identifikationsfigur der Frauenbewegung zu stürzen und, gewissermaßen als Gegenbild, das Gespenst einer Schreckschraube auf den Sockel zu heben — weder die gute noch die böse Clara haben mit der historischen Figur Clara Schumann auch nur das Geringste zu tun. Zweitens weist dieses Buch zwei böse Mängel auf, die einer bewährten Musikwissenschaftlerin und verdienten Frauenforscherin (die Weissweiler ja ohne Frage ist) wahrhaftig nicht hätten unterlaufen dürfen: Man erfährt nämlich erstens nichts über die Werke Clara Schumanns und zweitens fast nichts über ihren weiteren Lebenslauf nach dem Tode Robert Schumanns. Und das war immerhin mehr als die Hälfte ihres Lebens. Wieder einmal also ist eine Musikerbiographie ohne Blick auf die Musik und eine Frauenbiographie mit Blick auf die Biographie ihres berühmten Mannes geschrieben worden. Als Robert Schumann 1856 starb, war Clara Schumann erst 36 Jahre alt. Sie selbst starb 76jährig, nach einem arbeitsreichen und, wie man so schön sagt, erfüllten Leben als Pianistin und als Musiklehrerin. Vierzig Jahre, keineswegs verkrochen im Privatleben, am häuslichen Herd und Wohnzimmerklavier: Clara Schumann feierte Triumphe als reisende Virtuosin, sie gab noch bis 1891 öffentliche Konzerte und übernahm im Jahre 1878 als „Frau Dr. Schumann“ eine Klavierklasse am Hochschen Konservatorium zu Frankfurt — worüber unter anderem ihr Kollege und Vorgesetzter Joachim Raff zu berichten weiß: „Mit Ausnahme von Madame Schumann ist und wird im Conservatorium keine Lehrerin angestellt. Madame Schumann selbst kann ich eben wohl als Mann rechnen.“

Dieses Zitat (das sich übrigens im Kontext des Originals nicht halb so frauenfreundlich liest) sowie eben der Kontext dazu und viele andere Zitate mehr finden sich in einem neuen, ganz unspektakulären Buch über Clara Schumann, das weder als Biographie auftritt noch als Sachbuch. Beatrix Borchard nennt ihr Werk lieber umständlich eine „biographische Collage“ oder auch „eine Montage“ — was untertönig mit einer gehörigen Portion Mißtrauen in die selbstherrliche Subjektivität (oder vielmehr Scheinobjektivität) handelsüblicher Biographien verbunden ist. Borchard will keine Biographin sein. Sie erteilt sich selbst ausdrücklich Redeverbot (wobei an den Kittstellen ihrer Textmontage persönliche Stellungnahmen implizit mit einfließen).Aber das Gute daran bleibt: Borchard läßt in erster Linie und in einzigartiger Ausführlichkeit Clara Schumann, ihre Zeit und ihre Zeitgenossen zu Wort kommen.

Authentische, zum Teil bisher unveröffentlichte Bilder und Texte aus Briefen und Tagebüchern, Konzertkritiken, Lexikonartikeln, Handbüchern, Almanachen etc. ergeben zusammen das Panorama einer Lebenszeit, das jede Biographie weit in den Schatten stellt. Kaum zu glauben, daß diese Überfülle historischer Zitate weder staubig schmeckt noch trocken. Eine Lesebuch für den Laien, so spannend wie ein Krimi; ein Sachbuch für die Fachfrau, das, wo immer sie es aufschlägt, auf eine Zeitreise entführt, die kein Aussteigen mehr gestattet. Denn es ist ja außerdem auch ein brauchbares Sachbuch daraus geworden, weil die Chronologie auch ohne Fußnotenapparat das schnelle Nachschlagen von Informationen möglich macht.

Wer sich selbst ein Bild von der Frau und Komponistin Clara Schumann machen will, ist mit diesem Buch glänzend bedient (wobei, nebenbei gesagt, auch das gängige Beethovenbild etc. eine solche biographische Collage gut gebrauchen könnte). Wer darüber hinaus Genaueres wissen will über die Werke Clara Schumanns, der kann das nachlesen in der gründlich recherchierten und erfreulich straff geschriebenen Doktorarbeit von Janina Klassen, die als Band siebenunddreißig der Kieler Schriften zur Musikwissenschaft herausgekommen ist.

Beatrix Borchard: Clara Schumann. Ihr Leben. Ullstein-Verlag 1991, 427 S., 450 Abb., 58 DM

Janina Klassen: Clara Wieck- Schumann. Die Virtuosin als Komponistin. Bärenreiter-Verlag 1990, 283 S., (schon vergriffen)

Eva Weissweiler: Clara Schumann. Hoffmann & Campe 1990, 400 S., 38 DM

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