Irrfahrt auf der Flucht vor Hooligans

Nach einem Hooligan-Angriff flüchteten AsylbewerberInnen aus Mecklenburg-Vorpommern zurück nach Schleswig-Holstein/ Von dort sollen sie erneut in den Osten abgeschoben werden  ■ Aus Hamburg Sigrun Nickel

Zuerst suchten sie Asyl in einer Kirche in Neumünster. Dann wurden sie gegen ihren Willen nach Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern verschickt. Nachdem rund 200 Hooligans mit Wurfgeschossen und Leuchtmunition am späten Sonntag nachmittag die Flüchtlinge in Greifswald angegriffen hatten, flohen die 76 AsylbewerberInnen gestern erneut nach Neumünster in Schleswig- Holstein. Inzwischen hat der schleswig-holsteinische Sozialminister Günther Jansen (SPD) angekündigt, daß die Frauen, Männer und Kinder nach Greifswald zurückgebracht werden sollen.

Ein Versagen der evangelischen Kirche gestand Michael Möbius, Pastor in der Neumünsteraner Anscharkirche, am Montag vor den Flüchtlingen ein. Die Gemeinde, in deren Gotteshaus die AsylbewerberInnen sich sechs Wochen lang vor ihren Transport nach Ostdeutschland verschanzt hatten, hatte ihnen wiederholt geraten, sich in ihr Schicksal zu fügen.

Die ersten Hooligans waren nach Augenzeugenberichten gegen 16.30 Uhr vor dem umgebauten NVA-Lazarett in Greifswald angerückt. „Es war unmittelbar vor dem Beginn des Fußballspiels zwischem dem Greifswalder SC und dem FC Berlin, als einige Faschos von dem hundert Meter entfernt liegenden Stadion aus die Flüchtlinge vor dem Haus herumstehen sahen“, erzählt ein Neumünsteraner, der sich bereits sei Freitag in Greifswald aufhielt, um die Asylbewerber zu unterstützen. Nachdem die AusländerInnen mit Flaschen und Steinen beworfen worden waren, zogen sie sich langsam ins Haus zurück und verriegelten die Pforte. Mit brachialer Gewalt traten die Hooligans die Tür ein, ließen aber ab, als etwa 20 Polizisten anrückten.

Inzwischen hatten sich jedoch rund 200 Rechtsradikale vor der Unterkunft versammelt. Wenige Minuten nach der ersten Attacke folgte sie zweite. Dabei sei auch Leuchtmunition eingesetzt worden, erzählt ein Flüchtling. Scheiben gingen zu Bruch. Die Polizei — Augenzeugen sprechen von 50 Beamten, offizielle Quellen jedoch von 150 — war offenbar nicht auf diesen Übergriff vorbereitet. Bei den schweren Ausschreitungen zwischen Polizei und Hooligans wurden nach Angaben des Innenministeriums von Mecklenburg- Vorpommern 25 Rechtsradikale festgenommen, auf beiden Seiten gab es Verletzte. Einer der BewohnerInnen des Flüchtlingsheims kugelte sich den Arm aus, ein anderer wurde von Steinen getroffen.

Nachdem die Gefahr gebannt war, verständigten die Mitglieder der Neumünsteraner Unterstützergruppe, die sich in Greifwald aufhielten, antifaschistische und antirassistische Initiativen in Westdeutschland. Aus Hamburg, Lübeck, Neumünster und Berlin kamen 150 Menschen, um die Flüchtlinge mit einem Bus und 45 Pkws zu evakuieren. Gegen drei Uhr morgens setzte sich der Konvoi in Bewegung. Ziel war nicht wie ursprünglich geplant die Schalom-Kirche in Norderstedt, sondern auf ausdrücklichen Wunsch der AsylbewerberInnen die Anscharkirche in Neumünster. Anfangs sei der Auto-Treck noch von Polizei begleitet worden, später nicht mehr, so ein Augenzeuge. Mehrer Rundfunksender meldeten gestern, die Polizei habe den Konvoi zum Umkehren zwingen wollen. Doch davon bemerkten die Flüchtenden nichts.

Michael Möbius, Pastor der Neumünsteraner Anscharkirche, hieß die AsylbewerberInnen gegen 10 Uhr willkommen und versprach, daß sie bis auf weiteres im Gemeindehaus bleiben dürften. Noch am Sonntag abend, nach dem Holligan-Angriff, hatte Gunther Braun vom Diakonischen Werk Schleswig-Holstein die Flüchtlinge zu überzeugen versucht, in Greifswald zu bleiben. Sein Argument: Auländerfeindliche Übergriffe gebe es auch im Westen.

„Man muß die Asylbewerber überzeugen, diesen schweren Weg zu gehen“, erklärte gestern Schleswig-Holsteins Sozialminister Günther Jansen (SPD). Die Schläger müßten „sehr zügig und dramatisch“ bestraft werden. Jansen teilte mit, in den vergangenen Monaten seien rund tausend Asylbewerber aus Schleswig-Holstein in andere, meist ostdeutsche Bundesländer gebracht worden, da deutlich mehr Ausländer in das nördlichste Bundesland gekommen seien, als es die Quote zulasse. Ob die Flüchtlinge mit Gewalt zurückgebracht werden, müsse abgewartet werden, so Jansen. Die Grünen haben die Landesregierung aufgefordert, den AsylbewerberInnen Schutz und Heimstatt zu gewähren. Das ein Akt der Menschlichkeit und der politischen Würde.