: Nur ein Flackern auf Zelluloid
■ Tanz-Film- (und Video-) Fest in der Filmbühne am Steinplatz und im Babylon
Kurz, kaum minutenlang blitzte auf dem Zelluloid eine bewegte Skulptur aus Licht auf. Rot und gelb zucken die Schmetterlingsflügel in dem handcolorierten Streifen der Jahrhundertwende. Der Schleiertanz der Loie Fuller war selbst schon eine Lichtprojektion. Der Körper der Tänzerin verschwand in rauschenden Hüllen. Sichtbar waren nicht ihre Bewegungen, sondern deren Vergrößerungen durch lange, das Licht reflektierende Stoffbahnen, die sie an Stangen schwenkte. Die frühen, zwischen 1894 und 1912 entstandenen Tanzfilme, zeigen kurze Revuenummern. Sie rufen den Jahrmarkt und das Varieté als die gemeinsame Herkunft der kinematographischen Kunst und des freien Tanzes in Erinnerung.
Schon die erste Viertelstunde des Tanz-Film-Festes, auf dem fast ein Jahrhundert Tanzfilmgeschichte in 28 Programmen Revue passiert, riß eine Fülle von Assoziationen an, über die Beziehungen von Tanz und Film zu reflektieren. Es sind nicht nur die Elemente der Bewegung, Geschwindigkeit und der Flüchtigkeit, die beide Genres zu Beginn dieses Jahrhunderts in die Ästhetik der Moderne einbringen. Vor dem Hintergrund der mechanischen Reproduzierbarkeit von Bewegung, für die der Filmapparat nur ein Teil einer maschinengetriebenen Welt ist, entwickelte sich der freie Tanz mit all seinen heute oft kurios anmutenden Spielarten. Gesucht wurde eine autonome Körpersprache, nicht von den Regeln des Balletts diktiert und aufbegehrend gegen die Disziplinierungen des Körpers. Die Kunstgeschichte und die fremden Kulturen jenseits von Europa und den USA galten dabei als Quellen.
Den amerikanischen Anfängen steht die deutsche Tanzgeschichte mit Mary Wigman gegenüber. In ihrem Hexentanz von 1926 ist plötzlich etwas zu sehen, was jetzt wieder unter dem Namen Butoh aus Japan zu uns kommt. Auf dem Boden sitzend, rutschend, mit Krallenhänden die Luft zerfetzend, trommelt sie mit ihren Fersen auf die Erde. Mehr als das Pathos, das als Klischee des Ausdruckstanzes geblieben ist, beeindruckt ihre Bewegungsökonomie in jedem Tanz.
In Deutschland existieren bisher neben einem Tanzarchiv in Köln und einer erst dieses Jahr eröffneten Tanzdokumentationsstelle in Bremen kaum Orte für Tanzgeschichte. Das historische Tanzfilmprogramm, das von Linda Bouws und Marc Noyons in mehrjähriger Recherche in Europa und den USA, in Verhandlungen über Filme und Rechte mit Museen, Theatern und Privatpersonen zuerst für ein Tanzfilmfest in Amsterdam zusammengestellt wurde, ermöglicht einen Rückblick, der mit berlinspezifischem Material erweitert wurde. Neben den kosmisch-schwingenden Bewegungsstudien von Mary Wigman wird mit Valeska Gert die groteske, satirische Form, mit Anita Berber die selbst- zerstörerische Ekstase und mit dem »roten Tänzer« Jean Weidt die proletarische Variante des Ausdruckstanzes vorgestellt.
Neben der Recherche nach der Berliner Tanzgeschichte widmet sich das Tanzfilmprogramm der Suche nach einer eigenen Tanzfilmästhetik. 1946 entstand Ritual in Transfigured Time von Maya Deren, die die Fähigkeiten des Mediums, Raum und Zeit zu manipulieren, für surreale Kompositionen nutzte. Ein Geflecht von Blicken hält nie überschaubare Raumordnungen zusammen. Das Hin und Her der Hände einer Frau, die einen Wollstrang hält, wird in Zeitlupe zu einer ekstatischen Bewegung, Vorbereitung ihres Abflugs. Begrüßungsrituale, Gesprächsanfänge auf einer Party entwickeln einen eigenen Rhythmus. Eine Quelle des Tanztheaters von Pina Bausch, das sich aus der Interpretation und Stilisierung von Alltagsgesten entwickelt, scheint auf. Wie im Traum wechselt die Szenerie Landschaften und Architekturen. Die Protagonisten fliehen in verlangsamten Sprüngen, geträumten Flugversuchen.
Das filmische Medium verändert die Qualität der Bewegung und verleiht den Tänzern neue Ausdrucksmöglichkeiten. Der Preis der omni- potenten Technik ist die Reduktion des Körpers auf einen gewichtslosen Schatten. Die Einmaligkeit des Tanzes als körperliches Ereignis verzischt in seiner Reproduktion. Katrin Bettina Müller
Tanz-Film-Fest in der Filmbühne am Steinplatz bis zum 20. November und im Babylon (Mitte) vom 8. bus 17. November.
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