: Berliner Kardinal Sterzinsky zweifelt am Zölibat
■ Nach der Disziplinierung Drewermanns lockern die deutschen katholischen Bischöfe die amtskirchliche Disziplin
Berlin (taz) — „Berliner Kardinal bricht ein Tabu“, so lautete der gestrige Aufmacher der 'Berliner Morgenpost‘. Und tatsächlich handelte es sich um eine kleine Sensation: Georg Kardinal Sterzinsky, ausgesprochen konservativer Oberhirte des einstmals geteilten „schwierigsten Bistums der Welt“, gab zu Protokoll: „Wenn der Zölibat nicht von innen her bejaht wird, ist er fragwürdig.“ Es handle sich dabei um kein Dogma, vielmehr um eine eher „disziplinäre Forderung der Amtskirche“. Nachdrücklich sprach sich der Berliner Bischof dafür aus, das Thema der erzwungenen priesterlichen Ehelosigkeit, „mit großem Ernst und ohne Vorbehalte zu überprüfen“. Schließlich habe es auch schon in früherer Zeit verheiratete Priester gegeben — „was damals praktikabel und moralisch war“, so Sterzinsky, „kann doch nicht heute unmoralisch und unpraktikabel sein.“ Letztlich könne man „einen erkrankten Organismus nicht heilen, indem man die angeblich erkrankten Teile einfach entfernt“.
Der Berliner Bischof sprach diese Worte, kurz nachdem sein Paderborner Kollege Degenhardt dem Theologen Eugen Drewermann die Lehrbefugnis entzogen hatte. Der aufmüpfige Theologie- Professor Drewermann hatte in seinem großen Buch Die Kleriker den Zölibat ausführlich kritisiert und der katholischen Kirche vorgeworfen, sie sei „zentralistisch, im Grunde absolutistisch geführt und unterliege deswegen der Irrationalität autokratischer Systeme“. Drewermann wurde selbst Opfer des von ihm kritisierten starren Systems. Seine Oberen belegten ihn mit „gerechter Strafe“, weil er sich geweigert hatte, die unfehlbaren Lehräußerungen des Papstes zu akzeptieren.
Gestern vormittag nun ließ Sterzinsky das Öl auf die hochschlagenden Wogen gießen, das er tags zuvor ins Feuer gekippt hatte. Zwar habe er alles gesagt, was die 'Morgenpost‘ druckte — aber in einer „völlig anderen Intention“. Der Kardinal hatte sich, nach seinen einschränkenden Worten, lediglich „zum Priestertum im 3. Jahrtausend“ — das in neun Jahren beginnt — geäußert und schlicht „den Stand der theologischen Diskussion wiedergegeben“. Allerdings sei er der Meinung: die „Einschärfung“ des Zölibatsgesetzes helfe jenen nicht, die den Zölibat in Frage stellten oder in enthaltsamer und eheloser Lebensform unsicher geworden seien, und es bereite ihm Sorgen, wenn der Zölibat „nur unter Druck gelebt wird“. Am Nachmittag sprang der Bischof von Rottenburg- Stuttgart, Walter Kasper, seinem Berliner Amtsbruder bei: Er sehe das Problem nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Priestermangels, vielmehr „könnte es eine Bereicherung darstellen, wenn wir — neben den ehelos lebenden — verheiratete Priester hätten“. Dies bedeute „eine neue Erfahrungsdimension“ für den Klerus. Die Deutsche Bischofskonferenz gab gestern keine Erklärung ab und ließ ausdrücklich mitteilen, daß auch keine Erklärung geplant sei. G.A.
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