: Für ein Theater des Lebens
■ Gespräch mit Alejandro Quintana, Regisseur des Theaterstücks »Ay, Carmela« im Berliner Ensemble
Alejandro Quintana, Chilene, seit 18 Jahren in Berlin, Schauspieler, Theater- und gelegentlich auch Kinoregisseur. Seine Arbeitssprache ist Deutsch. Er führt seit 1986 nicht nur Regie für Stücke in deutscher Sprache, sondern war auch verantwortlich für die Übersetzung von »Ay Carmela«, sein letztes Stück, das er in Szene gesetzt hat. Unterstützt dabei wurde er von dem Dramaturgen Jörg Mihan, der Schauspielerin Renate Richter und dem Schauspieler Peter Bause. Die taz sprach mit Quintana über seine Arbeitsweise, seine Träume und über ein weltoffenes lateinamerikanisches Theater.
Alejandro Quintana: Für mich ist die deutsche nicht mehr die »andere«, sondern die Sprache, in der ich arbeite, sowohl im Theater als auch im Film. Und du wirst es nicht glauben: Als wir in Peru drehten, mußte ich erst fragen, wie die Kommandos beim Filmen auf spanisch heißen... Ich finde es praktisch, auf deutsch zu arbeiten, vor allem, was die Arbeit mit den Schauspielern betrifft. Schwieriger ist die Etappe vor der praktischen Arbeit, die Vorbereitungsphase, das Konzept, damit das Projekt auch annehmbar wird. Arbeitsweise hat mir nicht gefallen, dieser Zwang, erst zu planen und dann zu machen.
Und wie arbeitest du statt dessen?
Meine Arbeitsweise, meine Weise künstlerisch zu denken, hat mehr mit dem Romanischen als mit dem Germanischen zu tun. Das heißt, du hast eine Idee, willst eine bestimmte Sache machen, und beim Machen entwickelst du sie zu Ende. Daher gefällt mir auch sehr gut, was die Ariane Mnouchkine sagt, daß sie eine Sache macht, nicht weil sie sie schon kennt, sondern sie kennenlernen will.
Und das Kennenlernen geschieht beim Machen.
Eine Montage zu machen zum Beispiel ist, wie eine Fahrkarte für ein unbestimmtes Ziel zu kaufen, denn möglicherweise entwickelt der Zug seine eigene Dynamik. Das ist eine Realität, aber darüber wird in der deutschen Theaterkultur sehr wenig geredet, Fakt aber ist, daß eine künstlerische Arbeit dich transformiert. Am Ende bist du nicht mehr der gleiche wie am Anfang. Das ist ganz natürlich und mag daher wie eine Binsenwahrheit klingen. Aber so natürlich ist das doch nicht, weil im allgemeinen ein deutscher Regisseur seine Arbeit mit einer von Anfang an sehr definierten Absicht durchführt. Daher fühle ich mich wohler mit meiner Form, die ich in etlichen Jahren Arbeit entwickelt habe.
Die hast du aber hier entwickelt.
Klar. Denn man kommt mit kleinem Gepäck an, in dem aber eine Kultur, eine Tradition, eine Erziehung, eine Vision von einem anderen Theater steckt. Im Laufe der Zeit aber fühlt man sich beeinflußt vom Medium, und man versucht, auf sein Niveau zu kommen. Es war wie Fischessen. Ich esse nämlich keinen Fisch, aber aufs Theater bezogen, zwang ich mich zum Fischessen. Das hat mich bestimmt stärker gemacht...
Du hast deinen Körper also vor die Alternative gestellt.
Fisch hat Vitamine und macht stark; die Systematik, die Ordnung, das Eins-nach-dem-anderen, das sind wahrscheinlich die wertvollsten Dinge, die wir von hier zurücknehmen werden. Aber es war für mich einer der größten Kämpfe, weil ich glaube, daß im Theater nicht eines nach dem anderen, sondern alles zur gleichen Zeit passiert.
Hat das auch damit zu tun, daß du Ausländer bist, mit den Projekten, die du präsentierst?
Ich möchte mal so sagen: Dinge, die ein bißchen fremd sind, wecken überall in der Welt Zurückhaltung, und möglicherweise hier etwas mehr als anderswo.
Du mußt aber täglich deine Qualifikation unter Beweis stellen und für deine Anerkennung kämpfen. Du wirst nie wirklich anerkannt.
Der Wunsch, entscheiden zu können, was du machen willst, ist eigentlich eine notwendige Voraussetzung, um einen weiteren Salto in der künstlerischen Entwicklung zu schlagen. Es gibt so viele lateinamerikanische Künstler hier, Maler, Schauspieler, Tänzer, Cineasten, Musiker. Stell dir vor, diese Leute könnten sich in einem Künstlerzentrum zusammenschließen und dort von ihrer Arbeit leben: ein weltoffenes lateinamerikanisches Theater.
Ich frage mich, ob damit das Ghetto nicht reproduziert wird. Also: die Lateinamerikaner gehen ins lateinamerikanische Theater, die Türken ins türkische, die Deutschen ins deutsche...
Das Ghetto interessiert mich nicht, ich will vielmehr in den Wettbewerb mit den etablierten Theatern hier einsteigen. Wir haben wirklich genug Material, um so niveauvolles Theater zu machen, daß wir mit den staatlichen Schauspielhäusern konkurrieren können. Selbst mit einem wesentlich kleineren Budget lassen sich gute Erfolge erzielen. Das wichtigste ist, daß die Leute von ihrer Arbeit auch leben können, damit wir uns ganz unserer Berufung widmen können. Es geht nicht um Beruf, sondern Berufung, aber die Zeiten sind sehr wirr, vielleicht kommen später großzügigere Zeiten oder auch nicht.
Was würde ein solches Theater machen? Welche Lücke würde es füllen?
Hast du ein Modell?
Modelle gibt's verschiedene. Peter Brook fällt mir sofort ein oder das multikulturelle Ensemble der Mnouchkine, aber es ist auch mehr: Mich interessiert ein politisches Theater, auch wenn das ungeheuer altmodisch scheinen mag.
Ein Theater des Lebens?
Ein Theater ohne Hühneraugen und Hautkrankheiten, mit nacktem Fleisch, um die Luft, die Wärme aufzunehmen. Ein Theater, das es wagt, jene Stücke aufzuführen, die noch gar nicht geschrieben worden sind. Das Gespräch führte Esther Andradi
Die nächste Vorstellung von Ay Carmela ist am 13. November im Berliner Ensemble zu sehen. Beginn: 19.30 Uhr.
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