: DER INDISKRETE, BÖSE BLICK
■ Oder wie man sich mit der Kamera die Welt untertan macht
Oder wie man sich mit der
Kamera die Welt untertan macht
VONEUGENIAERAZO
Nein, Dia-Abende waren für mich nichts Neues. Die sind in meiner Heimat ebenso verbreitet wie hierzulande. Und laufen fast auf die gleiche Weise ab. Nach dem Abendessen, wenn die kleinen Liköre und die härteren Sachen die Runde gemacht haben, die Leinwand entrollt, der Projektor in Position und das Licht ausgeknipst ist, hebt ein erwartungsvolles Gewisper an. Dann macht es „klack“ — und das erste Foto verzaubert den Raum. Meistens sind es Familienfotos und Fotos von der jüngst absolvierten Europareise. Es hagelt Fragen, man weiß von ähnlichen Erlebnissen bei ähnlichen Ereignissen zu berichten, bewundert hin und wieder und ist ungezwungen und heiter.
Wurde ich hier zu einem solchen Ritual eingeladen, ging es im allgemeinen etwas steifer zu — das liegt wohl am Charakter und auch am Wetter — war man erst mal miteinander warm geworden, versprach es doch noch ein gemütlicher Abend zu werden. Es wurden die üblichen Ferienstrände gezeigt, kolossale Palazzi und Plätze und die feuchtfröhlichen Tänzchen in der Bar, bei denen es oft unverhältnismäßig locker zuging. Ich verstand: Das war die Urlaubsstimmung, die Leute wollten eine knapp bemessene Zeit auf ihre Art feiern. Doch wenn sich dann plötzlich Kommentare vernehmen ließen, wie: „Natürlich hab' ich mich unters Volk gemischt — war ja nicht zu vermeiden“, dann schien mir das ein Mißton, der mich befremdete. Und kamen dann die obligatorischen Schnappschüsse an die Reihe, mit Bettlern, Wellblechbuden, Slums und immer wieder Kindern, schwarze, braune, zerlumpte, halb verhungerte — schön ästhetisch und niedlich anzuschauen —, war meine Stimmung ganz unten. Einer aus der Runde setzte dann gewöhnlich noch einen drauf und schwärmte davon, wie er Marktfrauen hinter ihren unsauberen Fleischständen geknipst und diese ganz hysterisch reagiert hätten. Wohingegen andere, denen er mal so die Kamera durch die Tür ins Wohn/Schlafzimmer geschoben, höchstens verschämt die Augen niedergeschlagen und freundlich gelächelt hätten. Ehrlich gesagt, ich konnte bei dieser eitlen Selbstgefälligkeit kaum an mich halten.
Wie kommt es, so fragte ich mich, daß diese Leute, die Tag um Tag, Dreiviertel des Jahres, brav ihre Maschinen bedienen, hinter ihren Schreibtischen aushalten, Hebel und Knöpfe drücken, urplötzlich, wenn sie kurz mal von ihrem gewohnten Trott entbunden sind, wie eine wildgewordene Meute von Barbaren in anderer Leute Häuser eindringen, alles, was ihrer Meinung nach exotisch oder niedlich aussieht, mit dem Zoom, so lang wie ein Maschinengewehr, zu Leibe rücken, und Pietät und sonst geübte Zurückhaltung nicht mehr zu kennen scheinen — d.h. einfach nicht wiederzuerkennen sind. Hat da plötzlich etwas ausgehakt? Kam da etwas ans Licht, was immer schon, versteckt unter einer dünnen Benimm-dich-Schminke, nur auf seine Stunde wartete?
Spontan fielen mir als möglicher Grund die bewußt aggressive Werbung, die Boulevardpresse und das Fernsehen ein. Denn was da täglich an Ermunterung und Vorbild und stillschweigender Komplizenhaftigkeit herüberkommt, muß ja wohl auf die Dauer faule Früchte zeitigen. Nicht daß die Medien direkt zu irgendeinem Verhalten anhielten, dazu sind sie zu raffiniert ausgewogen; daß sie aber einer aggressiven „Wir-haben's-geschafft-Philosophie“ Vorschub leisten, ist doch nicht zu leugnen. Trotzdem konnte das nicht der einzige Grund sein. Schließlich ist dieser Modern way of life nicht auf dieses allein beschränkt. Und aggressiv sind Fernsehen und Medien weiß Gott in unseren Ländern auch. Es mußte also noch eine andere Erklärung für jenes Verhalten geben.
Ich las einschlägige Bücher, ließ mir noch einmal die Spanier und ihre Conquista durch den Kopf gehen und stieß schließlich auf Reiseberichte und Aufzeichnungen wissenschaftlicher Expeditionen, die um die Jahrhundertwende ausgezogen waren, um noch unbekannte Länder und Völker dem Wissens- und Sensationsdurst der zivilisierten Welt zu erschließen.
Zu meiner Überraschung begegnete ich in diesen Papieren einer ähnlichen Borniertheit, einem ähnlich aggressiven Verhalten den Eingeborenen gegenüber. Nicht aufgrund einer hedonistischen Lebensphilosophie, sondern im Namen einer Wissenschaftsideologie. In deren Namen fühlten sich die Forscher berechtigt, jahrhundertealte, gewachsene und geheiligte Stammes- und Familientraditionen zu verletzen. Alles, was ihnen exotisch und interessant vorkam, wurde angetastet und begrapscht, Schädel und Geschlechtsteile minutiös vermessen und katalogisiert. Die Menschen scheinen nichts anderes als Merkmalsträger und potentielle Meßobjekte zu sein.
Geschützt durch die kolonialen Regime und die allgemeine Auffassung, konnten die Wissenschaftler mit den Eingeborenen machen, was sie wollten. Daß diese von der Behandlung durch die Weisen aus dem Abendland nicht begeistert waren, ist nur zu verständlich. Auf das Ablichten mit dem Fotoapparat reagierten sie geradezu mit Panik. Gegen den „bösen Blick“ der Kamera suchten sie sich durch Hand- und Armabwehr zu schützen, oft kam es auch zu Handgreiflichkeiten. „Nun hast du uns unsere Tänze, unsere Gesänge, unsere Sprache und unsere ,Porträts‘ genommen, und alles geht weg in dein Land“, erklärte ein Buschmann der Kalahari dem Anthropologen und Ethnologen R. Pösch um 1909. Das Abbild nehmen bedeutet die Seele entwenden, beschädigen, davontragen. Und das zog Krankheit, Unglück und Tod nach sich.
So standen sich zwei Welten gegenüber, von der die eine sehr erschrocken kaum verstand, was mit ihr geschah, während die andere, aufgrund allzugroßer Arroganz, nicht bereit war, die eine zu verstehen und ernst zu nehmen.
Außerdem lernten diese Völker schon sehr bald, daß die sogenannte wissenschaftliche Fotografie auch zu politischen Zwecken mißbraucht werden konnte. Daß die Kolonialgewaltigen Fotos, die alles andere als objektiv sind, als Beweise für jeden vorgefaßten Verdacht benutzten; letztlich zu Machterhalt und Repression einsetzten. Damit begann ein Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt, der auch heute noch zumindest unter der Oberfläche weiterschwelt. Und wenn Wörter wie „Gringo“ und „Neokolonialist“ in der täglichen Auseinandersetzung mit Fremden auch immer noch üblich sind, so hat das nicht zuletzt mit dieser langen, schmerzlichen Geschichte zu tun, sagte ich mir, und sind die letzten ohnmächtigen Versuche, sich gegen den indiskreten, bösen Blick zu wehren.
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