piwik no script img

Amtsvormund sorgte für Abschiebung

■ Gericht kritisiert Jugendamts-Praxis gegenüber kurdischem Jugendlichen / Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt

Die Ausweisung liegt bereits auf dem Tisch: Der 15jährige Kurde K., zur Zeit in Untersuchungshaft im Blockland, soll umgehend zurück nach Bingöl (Türkei). „In seinem eigenen Interesse“, behaupten verschiedene Instanzen, die nach Aktenlage über sein Schicksal entschieden haben: Das Amt für soziale Dienste, das ihm eine Mitarbeiterin („an Eltern statt“) zum Amtsvormund berufen hat, Sozialarbeiter und Sozialdienst im Gefängnis und — zwangsläufig nach entsprechender Empfehlung — schließlich auch die Ausländerbehörde.

Nur: mit dem Jugendlichen selbst hat die „Ersatzmutter“ aus der Sozialbehörde weder über dessen „Wohl“ noch über die Konsequenzen des von ihr eingeleiteten Verfahrens gesprochen. Und das widerspricht in etlichen Punkten der Rechtsstaatlichkeit. Dies hat das Bremer Amtsgericht, Abteilung Vormundschaftssachen, jetzt festgestellt. Der Anwalt des Jugendlichen hat gegen den Amtsvormund, Frau M., deshalb umgehend eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. Spätestens am Montag müßte sie der Sozialsenatorin vorliegen.

Frau M. hatte einen Tag nach der Verhaftung ihres Schützlings den Asylantrag zurückgenommen, den sie selbst ein Vierteljahr zuvor gestellt hatte. „Die Asylgründe, die er vorgebracht hat, dürften kaum ausreichen, um eine Anerkennung zu erhalten“, erklärte Frau M. dem Vormundschaftsgericht.

Dies sieht Richter Friedemann Karl ganz anders: Die Tatsache, daß der Asylantrag zunächst gestellt worden ist, zeige, daß man auch „davon ausging, daß er begründet sein könnte.“ Wenn jedoch das Jugendamt einen einmal gestellten Antrag zurücknimmt und damit die Ausweisung des Jugendlichen erwirkt, trifft das Jugendamt eine Entscheidung, „die dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (in Zirndorf) vorbehalten ist“, so der Richter.

Doch die Amtsvormündin entschied nicht nur (im Vorgriff auf die Entscheidung eines Richters) über die Berechtigung des Asylgesuchs, sie verbaute dem Jugendlichen auch den weiteren Rechtsweg: Frau M. verzichtete, auch dies im angeblichen Interesse des Jugendlichen, gleichzeitig auf Rechtsmittel. Damit wird dem Jugendlichen das Grundrecht genommen, eine ablehnende Entscheidung richterlich überprüfen zu lassen. Auch ein Asylfolgeantrag ist damit nicht mehr möglich. Alle Beweggründe, die K. ins Asyl getrieben haben, gelten damit vor dem Gesetz als erledigt und können nicht mehr geltend gemacht werden.

Frau M. hat den 15jährigen K. vor dem Amtsgericht als Armutsflüchtling dargestellt, dessen Vater ihn nach Deutschland geschickt hatte, „damit er es besser haben soll“. „Wir sind arm“, habe der Vater geschrieben, und das Leben in der Türkei sei unerträglich.

K. hatte jedoch noch andere Gründe für seine Flucht: Sein Onkel sei erschossen, er selbst bei der Flucht schwer verletzt worden. Dies erzählte er vergangene Woche seinem Anwalt, der ihn straf- wie asylrechtlich vertreten sollte.

Anwaltskontakt verboten

Doch auch die Beziehung zu seinem Anwalt beendete Frau M. dem Untersuchungshäftling kurzerhand: „Ich halte es für erforderlich, daß der Jugendliche in die Türkei zurückkehrt und sehe mich daher außerstande, den Anwalt zu bevollmächtigen, damit dieses Verfahren durchgezogen wird.“

Wie nötig K. einen Anwalt hat, zeigt eine andere Aussage seiner Amtsvormündin: Sie geht in ihrer Stellungnahme vor Gericht davon aus, daß mit einer Verurteilung ihres Schützlings zu rechnen sei — wegen „Drogenhandels“, und daß er die Strafe hier in Deustchland „abzusitzen habe“.

Nach Ansicht der „Intitiative Bremer StrafverteidigerInnen“ ist daran die fachliche Inkompetenz der Behördenmitarbeiterin abzulesen. Denn zum einen gelte in der Bundesrepublik für kurdische wie für alle anderen Jugendlichen und Beschuldigten die Unschuldsvermutung solange, bis vor Gericht das Gegenteil bewiesen ist. Zum anderen war K. zwar mit 300 Gramm Heroin erwischt worden, von Drogenhandel sei in den Ermittlungsakten aber keine Rede. Und drittens sei nach gängiger Rechtspraxis überhaupt nicht abzusehen, ob K. überhaupt zu einer Jugendstrafe oder zu einer Strafe auf Bewährung verurteilt wird.

Und anstatt für ihren Schützling eine geeignete Alternative zur Untersuchungshaft zu suchen, wie dies sonst jugendpolitisch maßgeblich versucht wird, hatte Frau M. darauf bestanden, daß K. „auf keinen Fall von der U-Haft verschont“ werden solle.

Richter Karl zieht aus alledem den Schluß, daß nicht auszuschließen ist, daß „die Rücknahme des Asylantrages im Zusammenhang steht mit der Verhaftung des Jugendlichen“ und das Amt für Soziale Dienste „unter dem Druck der gegenwärtigen Asyldebatte gehandelt hat. Insoweit sieht das Gericht eine Kollision der Interessen der öffentlichen Verwaltung mit denen des Jugendlichen, die diesem den Rechtsweg abgeschnitten hat.“ Das Gericht teilte deshalb die Vormundschaft und übertrug die Vertretung des Minderjährigen in Asylangelegenheiten und gegenüber dem Ausländeramt einer Rechtsanwältin.

Es ist zu befürchten, daß dieses rechtswidrige Verfahren künftig generell bei minderjährigen Asylbewerbern, die ohne Begleitung und Verwandte hier sind, angewandt wird. Eine entsprechende Dienstanweisung der Sozialsenatorin liegt im Entwurf bereits vor. Danach soll das Jugendamt entscheiden ob eine bestehende anwaltliche Vertretung beendet wird, die Ausländerbehörde soll entscheiden, ob der Aufenthalt beendet wird, für Jugendliche unter 16 Jahren ist in der Regel kein Asylantrag mehr zu stellen und vereidigte Dolmetscher oder Übersetzer sind in der Regel nicht notwendig. Birgitt Rambalski

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen