: DDR-Lesart zum KZ steht zur Debatte
■ Bis zum Januar 1992 will eine brandenburgische Expertenkommission einen Endbericht über die Umgestaltung der Gedenkstätten — Sachsenhausen, Ravensbrück und Brandenburg — vorlegen
Oranienburg. Hinter der Glastür hängt ein Schild: »Die Achtung vor der souveränen Entscheidung der ost- und südosteuropäischen Völker, ihre politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu bestimmen, gebietet es, diese Ausstellung für eine Neugestaltung zu schließen.« Vorbei sind die Tage, als der Besucher im »Museum des antifaschistischen Freiheitskampfes der europäischen Völker« auf dem Gelände des KZ Sachsenhausen noch die realsozialistische Lesart des Widerstandes in Augenschein nehmen konnte. In welchen Raum der Besucher auch kam — ob etwa in den französischen, polnischen oder sowjetischen —, überall trat geballter Pathos entgegen, wurde der Faschismus zu einem Phänomen reduziert. Entstehungsgeschichte, soziale Basis, Kollaboration im Faschismus — dies blieb weitgehend unangesprochen. Beispielhaft stand dafür die bronzene Tafel am Eingang des Raumes: »Das andere Deutschland«, eine Umschreibung, die nichts anderes als die DDR meinte. Geschichte, so suggerierte die Inschrift, glich einem antiken Drama: »Im antifaschistischen Widerstandskampf wuchsen in Deutschland Helden aus allen Kreisen.«
Und darin hatten vor allem die Kommunisten die Hauptrolle gespielt, wie der Gang durch den Ausstellungsraum zu belegen versuchte. Das dies so und nicht anders sein durfte, war schon bei der Gründung der »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten der DDR« im Jahr 1961 penibel festgelegt worden. Im Statut, das am 4.9.1961 im Gesetzblatt der DDR veröffentlicht wurde, war die ideologische Ausrichtung klar festgelegt. Den Stätten fiel die Aufgabe zu, »die Rolle der KPD als der stärksten und führenden Kraft im Kampf gegen das verbrecherische Naziregime ... darzustellen und zu erläutern«. Daneben wurden sie verpflichtet, vor allem den Widerstand der sowjetischen Häftlinge unter denen anderer Nationen besonders hervorzuheben und auf den »wiedererstandenen Faschismus und Militarismus in Westdeutschland« hinzuweisen.
Seit August ist nun das Museum in Sachsenhausen geschlossen, das Lagergelände allerdings weiterhin offen. Eine Korrektur der einseitigen Geschichtsdarstellung, die selbst beim jüdischen Widerstand hauptsächlich die kommunistischen Mitglieder erwähnte, steht an.
Kommission legt Zwischenbericht vor
Seit Sommer dieses Jahres arbeitet — im Auftrag des Kultusministeriums Brandenburg — eine siebenköpfige Kommission aus west- und ostdeutschen Historikern an einer Neukonzeption der drei Gedenkstätten (Sachsenhausen, Ravensbrück und Brandenburg), die das Land aus DDR-Zeiten übernommen hat. Ende Oktober stellten die Experten einen ersten Zwischenbericht vor, dem ein ganztägiges Hearing mit Vertretern des Lagerkomitees von Ravensbrück und Sachsenhausen, verschiedener Verfolgtenorganisationen, der Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen und Opfer des Stalinismus vorangegangen war. Ihr vorläufiges Ergebnis: Das Geschehen der NS-Zeit müsse unbedingt wachgehalten, die Gedenkstätten der ehemaligen Konzentrationslager auf jeden Fall erhalten, ihre Konzeption aber »wesentlich« umgestaltet werden. Vor allem sollen in Zukunft »alle Opfergruppen« berücksichtigt werden.
Gefahr der Aufrechnung von Opfern
Ein heikles Unterfangen, das gerade am Beispiel des KZ Sachsenhausen deutlich wird. Im Lager, mit dessen Aufbau die SS während der olympischen Spiele von 1936 begonnen hatte, waren bis 1945 rund 204.000 Menschen inhaftiert. Mehr als 100.000 wurden ermordet, starben an Hunger und Seuchen, Folter oder wurden durch Arbeit vernichtet. Sachsenhausen war zudem ein Selbstbedienungsladen der deutschen Großindustrie. Tausende von Häftlingen mußten für Siemens, Krupp, Rheinmetall-Borsig, Daimler-Benz, AEG oder DEMAG Zwangsarbeit leisten.
Aber die Geschichte dieses Lagers nahm auch nach 1945 seinen Fortgang. Bis 1950 diente es den sowjetischen Besatzungsbehörden, insbesondere dem Geheimdienst NKWD, als »Speziallager Nr. 7«. Neben Nazi-Mitgliedern, SS-Männern und Mitläufern wurden hier auch zahlreiche Menschen festgehalten, die der damaligen Politik der Besatzungsmacht nicht ins politische Konzept paßten — Gewerkschafter, Sozialdemokraten, ja sogar oppositionelle Kommunisten. Wie viele Menschen inhaftiert und gestorben sind, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Der kommissarische Leiter der Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen, Gerhard Emig, Anfang der fünfziger Jahre selbst mehrere Jahre politischer Häftling in der DDR, schätzt deren Zahl auf 60.000. Rund 20.000 bis 30.000 Tote soll es bis 1950 gegeben haben, wobei »die Zahl nicht genau nachvollziehbar ist, denn uns fehlen bis heute die Unterlagen, die darüber exakt Auskunft geben können«.
Bei dem vorliegenden Zahlenmaterial könnte leicht — wo derzeit die Gleichsetzung von Faschismus und Stalinismus in Mode ist — die Gefahr einer gegenseitigen Aufrechnung der Opfer entstehen. Diese Gefahr hat auch die Expertenkommission erkannt. Ausdrücklich weist sie in ihrem Zwischenbericht darauf hin, daß »auf jeden Fall eine Gleichsetzung mit dem KZ vermieden und der Gefahr des Aufrechnens vorgebeugt werden« müsse. Wie das geschehen könnte — darauf weiß auch der Zwischenbericht noch keine Antwort. Dennoch müsse, so Uwe Koch, Referatsleiter im Kultusministerium, die bisher vernachlässigte Nachkriegsgeschichte des Lagers aufgearbeitet werden. Hier herrsche ein »großer Nachholbedarf«.
Keineswegs wird im Ministerium daran gedacht, die Geschichte des Speziallagers genauso groß herauszustellen wie die vor 1945. Hans Ansorg, Referent für Gedenkstätten im Kultusministerium, meint, daß »das richtige Maß gefunden werden muß«. Einen elementaren Unterschied sieht er in der Behandlung der Häftlinge: »In NKWD-Lagern wurden die Menschen zwar sehr schlecht behandelt, aber es gab keine systematischen Vernichtungsaktionen wie bei den Nazis.«
Neue Stiftung soll in Sachsenhausen sein
In dem für das Jahr 1992 angesetzten Haushalt sind für Ravensbrück rund 2 und für Sachsenhausen 2,2 Millionen Mark veranschlagt. Nach den Vorstellungen der Experten, die im Januar nächsten Jahres ihren Abschlußbericht vorstellen werden, soll Sachsenhausen der Sitz einer zukünftigen Gedenkstätte sein. Vorgeschlagen wurde dafür das sogenannte T-Gebäude, in dem die SS-Inspektion ihren Sitz hatte. Neben der geplanten Stiftung, den Einrichtungen der politischen Bildung sowie Verwaltung und Archiv sollen außerdem das Speziallager Nr. 7 und die dazugehörenden Gräberfelder sowie die bisher noch wissenschaftlich wenig erforschte »Zone 2« in die Gedenkstätte miteinbezogen werden. Insbesondere soll die Rolle der Mahn- und Gedenkstätten in der DDR dokumentiert werden. Ob das heute geschlossene Museum dafür Platz bieten könnte, ist noch offen. Gerhard Emig, seit Juli dieses Jahres im Amt, steht vor dem Problem, keine genauen Informationen darüber zu besitzen, wer denn nun zu DDR-Zeiten für die Einrichtung der einzelnen Räume zuständig war — ob die überwiegend kommunistisch dominierten Lagerkomitees oder die jeweiligen Kultusministerien der Länder. Daß in den Räumen — wie etwa im »Antifaschistischen Kabinett« am Ernst-Thälmann-Park in Berlin — eine kritische Begleitausstellung zur offiziellen Geschichtsschreibung der DDR möglich wäre, hält er auf »Dauer für nicht einrichtbar und auch nur sehr schwer vermittelbar«. Am 6. Dezember wird sich zumindest die Eingangshalle wieder öffnen — für eine Wanderausstellung über die sowjetischen Kriegsgefangenen in Deutschland. Severin Weiland
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