: Zwischen Resignation, Trotz und Neudefinition
„Parteilose“ Linke suchen ihre Identität vorerst in akzentuierter „Anti“-Haltung — ein Novum im staatsbewußten Schweden/ Sicherung der wenigen verbliebenen Errungenschaften vor großen neuen Ansätzen ■ Von Luise Steinberger
Der Denkzettel schien, zumindest auf den ersten Blick, eher einer verschlissenen Regierungspartei denn einer speziellen Idee zu gelten: Mit der erdrutschartigen Wahlniederlage wollten die Schweden offenbar vor allem das immer unglaubwürdigere Modell der regierenden Sozialdemokraten weghaben. Getroffen haben sie aber offenbar noch viele andere mehr: Neben der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei“ und der „Linkspartei“ (ehedem „Kommunistische Linkspartei“) lecken sich auch die aus dem Reichstag geflogenen Grünen die Wunden und zahlreiche Gruppen der Linken, die ehedem zu den großen Parteien in klarem Kontrast standen.
Trotzig versuchen zwar derzeit linke Einzelpersonen, wie auch eine Reihe von Gruppen außerhalb der bisher tonangebenden Parteien und Gewerkschaften, tapfer weiterzudiskutieren. Niedergeschlagenheit und Verwirrung machen sich dennoch bemerkbar.
Umfassende Anklagen prasseln in Tageszeitungen und in Buchform auf „die Linke“ nieder. „Die Linken“ sind an allem schuld, von den Warteschlangen in den Krankenhäusern bis zum Verfall der Staaten Osteuropas.
Linksintellektuelle, wie beispielsweise Göran Greider und Björn Gustavsson in der Zeitschrift 'Ord och bild‘, beantworteten die generalisierenden Anwürfe mit einem Angriff auf die Renaissance bürgerlich- konservativer Werte, die in den letzten zehn Jahren die Kulturseiten der Tageszeitungen zunehmend entpolitisiert haben. Ohne wieder zurückzuwollen zu den Idealen der 70er Jahre, als es von vornherein gut war, proletarisch zu sein, fordern sie, auch den Menschen der unteren Schichten das kulturelle Rederecht nicht zu entziehen. Greider und Gustavsson zählen zu den schwedischen Linksintellektuellen, die eine Klassenperspektive beibehalten, aber eine undogmatische Auseinandersetzung der gesellschaftlichen Standpunkte wünschen.
Erik Trägerstad, Mitherausgeber der Zeitschrift 'Théleme‘, geht noch weiter. Die ganze begriffliche Einteilung in „Links“ und „Rechts“ stimmt für ihn nicht mehr. „Links“ und „Rechts“ haben in der schwedischen Tradition eines gemeinsam gehabt: das große Vertrauen in den Staat als Heimat der Menschen (das „Volksheim“). Die neue Qualität der Politik liege in der Hinwendung der Neo-Liberalen zum Markt als dem alleinseligmachenden Retter aus aller Not. Die Neo-Liberalen seien eben keine Bürgerlich-Konservativen mehr — ebensowenig wie die „Linken“ noch Proletarier sind.
Während sich die Intellektuellen die Köpfe zerbrechen über ihren theoretischen Standpunkt, haben andere Gruppen ganz andere Sorgen.
Weder der Zerfall des real existierenden Sozialismus in Osteuropa, noch der Wahlausgang in Schweden hat beispielsweise für die rund hundert schwedischen „Anarchisten“ (vergleichbar mit der deutschen autonomen Szene) Neudefinitionen ihrer politischen Ausrichtung mit sich gebracht. Magnus Hörnquist, den ich im Info-Buchladen im Stockholmer Stadtteil Söder treffe, sieht die ablaufenden Veränderungen allenfalls auf emotionaler Ebene: Die Leute in den Gruppen würden zunehmend ängstlicher; das zeige sich gerade in der Arbeit gegen faschistische Tendenzen. Immer weniger wage man mittlerweile zum Beispiel den rechtsextremen “Schwedendemokraten“ bei Demonstrationen entgegenzutreten — man sei nicht mehr, wie früher, so ganz sicher, daß man die Oberhand dabei behalte. „Wir müssen akzeptieren lernen, daß die Umwelt in Zukunft immer negativer auf uns reagieren wird, zumal wir ja nur eine sehr kleine Gruppe sind.“ In der nächsten Zeit sehen seine Genossen darum ihre Hauptarbeit darin, Erkämpftes zu sichern, wie zum Beispiel die Buchhandlung oder das Frauencafé. Der einst kreative Enthusiasmus, zum Besipiel Häuser zu besetzen, um Kulturzentren einzurichten, weicht einer defensiven Haltung, um wenigstens das geschaffene Netzwerk zu erhalten.
Daneben gibt es aber auch Gruppierungen, die sich erst jetzt bilden oder erneut aktiv werden. Vor wenigen Tagen fand im Stockholmer Vorort Farsta eine Demonstration gegen Vergewaltigung statt. Anlaß dafür war gegeben: Seit mehreren Monaten macht der sogenannte „Farstamann“ die Gegend unsicher, zehn Vergewaltigungen werden auf seine Rechnung geschrieben. Derlei Manifestationen zeigen erstmals wieder neue Qualitäten und neue Subjekte für die Bildung aktiver Zirkel mit politisch-sozialem Ansatz: Ähnlich wie bei den Frauen formiert sich auch in anderen Schichten wieder Protestpotential, etwa bei den Schwulen. Die drohende Verschlechterung der sozialen Verhältnisse und die immer zahlreicheren Übergriffe, fordern offenbar auch in Zeiten der allgemeinen Mutlosigkeit hier und da neue Reaktionen heraus.
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