: Aschenputtel will Märchenprinzessin werden
Nach einer Riesenblamage vor zwei Jahren versucht die unscheinbare Revierstadt Oberhausen erneut, ihre größte Industriebrache in einen gigantischen Freizeitpark zu verwandeln/ Die nötigen Dukaten soll ein britischer Investor ausspucken ■ Von Bettina Markmeyer
Oberhausen (taz) — Zweieinhalb Jahre liegt sie zurück: Oberhausens größte Blamage. In diesen Wochen wagt sich die Stadt wieder an den Stoff, der im Frühjahr 89 das ganze Ruhrgebiet erst sprachlos machte und dann in Gelächter ausbrechen ließ: Auf der prominentesten Oberhausener Industriebrache, dem rund hundert Hektar großen Thyssen-Gelände, sollte Europas, wenn nicht der Welt größtes Einkaufs- und Vergnügungszentrum entstehen. Unter der Firmenbezeichnung „Triple Five“ hatte der armenisch-kanadische Familienclan Ghermezian angekündigt, im grauen Oberhausen ein „World Tourist Center“ errichten zu wollen, mit gigantischem Shopping-Center, Hotels, Yachthäfen am Rhein- Herne-Kanal, Kongreßhalle und Dauerjahrmarkt.
Die Oberhausenener SPD-Stadtväter waren begeistert und glaubten alles, vor allem daß 20.000 Arbeitsplätze geschaffen würden. Sie schluckten auch happigste Forderungen wie immense Steuererleichterungen, die Aufhebung der Ladenschlußgesetze und die Lieferung der gesamten Infrastruktur.
Doch aus „Superhausen“ wurde nichts. Die Landesregierung legte ein Veto ein. Das Projekt sei zu gigantisch für die ganze Region, die Investoren unseriös und ihre Forderungen unverschämt. Oberhausen solle nicht traurig sein, es werde sich was anderes finden.
Dann wurde gesucht, und die wegen Größe und Lage unstrittig zu den interessantesten zählende Gewerbefläche im Revier wurde mal als Ausstellungsgelände, mal als Kongreßstätte und bis vor kurzem als Standort für ein Werk der Heidelberger Druckmaschinen AG gehandelt. Doch im Oktober schließlich war klar: Oberhausen hat sich für ein „SuperhausenII“ entschieden. Aber alles etwas kleiner als beim ersten Versuch, seriöser und besser vorbereitet. Selbst das skeptische 'Handelsblatt‘ meint, daß sich „dieses neue Vorhaben in ökonomischer Sicht positiv von dem mißglückten Vorgängerprojekt unterscheidet“.
Wieder ist ein großes Einkaufscenter, sind Hotels, eine Kongreßhalle, ein Vergnügungspark und Yachthäfen geplant. Der britische Investor Eddie Healey will zwei Milliarden Mark investieren und zunächst das Shopping-Center hochziehen — nach dem Vorbild der ebenfalls von der Healey-Firma Stadium im englischen Sheffield errichteten „Meadowhall“. Diesmal sind 8.000 Arbeitsplätze versprochen, der Freizeithafen am Kanal soll im Rahmen der Internationalen Bauausstellung entstehen, der komplette Freizeitpark 1996 fertig sein. Gleichwohl ist nicht klar, wer die Hotels, die Großsporthalle oder das Oberhausener Disneyland, also den eigentlichen Vergnügungspark bauen und betreiben wird. Investor Healey steht zunächst nur für das Shopping-Center.
In Oberhausen, wie Gelsenkirchen eine Revierstadt ohne Mitte, heißt das neue Riesending nicht „Superhausen II“, sondern „Die neue Mitte“ oder gar „Gartenstadt Oberhausen“. Die Stadtväter sind wieder glücklich und haben die Planungsverfahren für ihre Gartenstadt bereits vor der Sichtung erster Unterlagen in Gang gesetzt. Immerhin: Die Landesregierung hat den zweiten Versuch in Sachen Vergnügungspark selbst mit vorbereitet und den Verkauf des Thyssen-Geländes an die Landesentwicklungsgesellschaft betrieben, die wiederum die aus Steuergeldern sanierte Industriebrache an den britischen Investor weiterverkauft.
Doch während schon knallbunte, phantasievoll ausgemalte Prospekte über „Europas interessantestes Projekt“ (Werbetext) in Oberhausen kursieren, lassen die Zukunftsmacher in Sachen Verkehr völlige Einfallslosigkeit walten. 75 Prozent oder knapp 71.000 BesucherInnen pro Tag werden nach einer von der Stadt in Auftrag gegebenen Verkehrsuntersuchung die „Gartenstadt“ mit dem Auto ansteuern — pro Tag. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad ist die Riesengaudi praktisch gar nicht zu erreichen, da breite Straßen, Rhein- Herne-Kanal und die Autobahn 42 (Emscherschnellweg) das Gelände begrenzen. Nur 22 Prozent oder 21.000 BesucherInnen pro Tag werden mit Bus und Bahn — trotz eigenen S-Bahn-Anschlusses — anreisen.
In dieser Hinsicht ist „SuperhausenII“ keinen Deut besser als „SuperhausenI“: erst Straßenausbau und dann Stau auf dem Weg in die schöne knallige Beton-Freizeitwelt.
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