: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu
■ Dokumentation: Appell an die Mitglieder der „tageszeitung“ („taz“)
Das weitere Erscheinen der Berliner „tageszeitung“ („taz“) ist in Gefahr. Die seit Monaten schwelende Krise hat sich in eine nahezu vollständige Lähmung ihrer internen Entscheidungsstrukturen verwandelt. Der Exodus der profiliertesten RedakteurInnen, schon seit geraumer Zeit im Gange, geht in immer schnellerem Tempo weiter. Jüngst hat auch die Redaktionsleiterin Georgia Tornow die „taz“ verlassen.
Bei der Krisendiagnose herrscht große Einigkeit: Das Modell alternativer Selbstverwaltung, mit dem die „taz“ 1979 erfolgreich antrat, hat sich im Laufe der Jahre als untauglich erwiesen, mehr noch: als Hindernis, um auf neue Herausforderungen zu reagieren. Niedrige Einheitslöhne, die Abwesenheit klarer Kompetenz- und Machtbefugnisse, nicht zuletzt unprofessionelles Management haben nicht nur die Auflage sinken und die Verluste anschwellen lassen.
Sie haben auch dafür gesorgt, daß die „taz“ bis heute nicht erkannt hat, daß die traditionellen Orte von Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit nicht mehr dieselben sind wie vor 15 Jahren. So versäumte sie unter anderem, die große publizistische Chance nach dem Zusammenbruch der alten Weltordnung im Jahre 1989 wahrzunehmen.
Als „taz“-LeserInnen der ersten Stunde betrachten wir die Zeitung ein wenig auch als unsere — und daher zu kostbar, sie den Intrigen und Selbstblockaden einiger weniger zu überlassen. Wir appellieren an alle Mitglieder und Verantwortlichen der „tageszeitung“, sich auf dem „taz“-Plenum am 16. November 1991 für ein zukunftsträchtiges Konzept der Zeitung einzusetzen. Es wäre eine bittere Farce der bundesdeutschen Geschichte, wenn ausgerechnet die „taz“, die so viele Mythen und Lebenslügen der Bundesrepublik attackiert hat, nun selbst an der Unfähigkeit scheitern sollte, sich von ihrem eigenen Gründungsmythos zu befreien.
Aus Angst vor „Hierarchie“ und „Fremdkapital“ Selbstmord begehen, das hieße, die Idee der Selbstaufklärung verraten, der die „taz“ — und ihre LeserInnen — soviel Witz, Provokation, Aufklärung und intellektuelle Auseinandersetzung verdanken.
Die „taz“ als lebendige und erfolgreiche Zeitung einer intelligenten Linken, als ein Zentrum öffentlichen Streits über die Zukunft der Republik, ist unverzichtbar. Unser Appell kommt daher aus Eigeninteresse — und aus vollem Herzen.
Frankfurt am Main, den 10.11.1991
Elisabeth Abendroth, Matthias Beltz, Silvia Bovenschen, Günther Busch, Micha Brumlik, Christoph Cobet, Daniel Cohn-Bendit, Michael Damian, Jutta Ebeling, Ulrich Hausmann, Frank Herterich, Wolfgang Klotz, Udo Knapp, Barbara Köster, Claus Leggewie, Reinhard Mohr, Walter Pehle, Dorothea Rein, Frank Schirrmacher, Thomas Schmid, Joscha Schmierer, Albert Sellner, Esther Schapira, Cora Stephan, Wilhelm von Sternburg, Reed Stillwater, Giesela Wülffing
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