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Die Hugenotten, gezähmt

John Dew und Gottfried Pilz präsentieren Meyerbeer in Covent Garden  ■ Von Frieder Reininghaus

Giacomo Meyerbeer war zu seinen Lebzeiten mit irdischem Glück und Erfolg reich gesegnet. Beides aber scheint seinem Werk im Jahr seines 200.Geburtstags nicht beschieden. Il crociato in Egitto, die Oper, mit welcher der 33jährige Berliner in Venedig zu internationalem Ruhm gelangte, wurde bei den diesjährigen Dresdner Musikfestspielen in Erinnerung gerufen — mehr schlecht als recht. Und nur konzertant. Meyerbeers Musik aber braucht die Bühne, auf die hin sie konzipiert ist. In Bielefeld wurde im September Die Afrikanerin, das letzte und unvollendet gebliebene Werk des Meisters der Grand Opéra, in den Sand gesetzt; ob die Verhandlung des Exotismus und der zweifelhaften Segnungen des Kolonialismus im rauschenden musikalischen Kostüm von Ende der kommenden Woche an in der Staatsoper Berlin stattfindet, steht noch in den subtropischen Sternen: weder scheint die Inszenierung auf den rechten Weg zu kommen, noch die Musik in ein vorführbares Stadium zu gelangen (die abgehalfterte Führung aus DDR- Zeiten scheint das Heft nicht mehr, das neue Management von Barenboims Gnaden das Steuer im Flaggschiff des deutschen Musktheaters noch nicht in der Hand zu halten — es schlingert).

Ein ziemlich trauriges Resümee also, das zum Ende des Meyerbeer- Gedenkjahres zu ziehen sein wird. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, daß auf Schloß Thurnau bei Bayreuth erstmals ein wissenschaftlicher Kongreß zu Meyerbeer und der epochalen Wirkung seines Werkes stattfand (durchaus mit Anzeichen des Fortschritts bei der längst überfälligen Quellensicherung, der Umfelderschließung und der Neubewertung der Lebensleistung Meyerbeers) und eine Alternativveranstaltung mit Meyerbeer-Körnern und -Bröckchen in Paderborn. Ein wenig aufgehellt wird die düstere Bilanz allenfalls durch die Wiederaufnahme der provokativen, fulminanten, widerspruchsreichen Hugenotten-Inszenierung von John Dew und Gottfried Pilz an der Deutschen Oper Berlin. Das Royal Opera House in London sah sich durch den Berliner Erfolg von Meyerbeers Hauptwerk veranlaßt, das auseinanderlaufende Gespann Dew/Pilz nach Covent Garden zu verpflichten.

Dort wurden Les Huguenots zuletzt 1927 gegeben — Meyerbeers Werk ging dem Tiefpunkt in seiner nun bald zweihundertjährigen Rezeptionsgeschichte entgegen (der 1791 auf der Fahrt seiner Mutter zur Entbindung zur Welt gekommene Jakob Liebmann Meyer Beer, mit zehn in Berlin als klavierspielender Wunderjüngling bestaunt, war wohl insgesamt mit vielem zu früh dran: der erste Jude, der es im deutschen Musikleben zu etwas bringen sollte und der auf dem Umweg über Norditalien und Paris in das hohe Amt des Generalmusikdirektors seiner Heimatstadt gelangte, sich von dieser Verpflichtung der Berlinischen Verhältnisse und der Anfeindungen wegen aber bald wieder zurückzog). Erst in den letzten Jahren begann man auf dem Kontinent, und nun auch in London, dem Rang der Meyerbeer-Opern Rechnung zu tragen — der Brisanz der Libretti Eugène Scribes, dem Reichtum der musikalischen Formen und Farben, dem so weit sich vorwagenden (und zugleich so traditionsbewußten) Schritt hin zum musikdramatischen Gesamtkunstwerk. Übrigens war das jetzt zwischen Bow und Mart Street prangende Königliche Opernhaus, das dritte an dieser Stelle seit 1732, im Jahr 1858 mit den Hugenotten eröffnet worden: mit der erfolgreichsten und beliebtesten Oper jener Epoche, die Paris das Palais Garnier bescherte und Wien seine bis heute staatstragende Hofoper, Prag das Smetana Divadlo, Brüssel das ThéÛtre Royal de la Monnaie und Budapest das Operahaz. Sie alle sind Schwestern aus dem Geiste Meyerbeers.

Das Phantom der Oper

Helen Anderson, Press Officer of the Royal Opera House, führte mich durch die Katakomben: zeigte die vorsintflutliche Untermaschinerie, in der das Schwimmbassin aufs Emporwuchten zwischen dem ersten und zweiten Akt wartet. So gut wie in den Gewölben unter dem Palais Garnier könnte in den Kellern zwischen Floral Street und den für Touristen herausgeputzten Hallen von Covent Garden, so argwöhnte ich, ein Phantom hausen. „Not only one“, raunzte Mrs. Anderson und begrüßte die Herren des Orchesters, die sich zu ihrem Graben emporbewegten.

Immerhin taten sie das nun wieder. Zwei Wochen lang hatten sie es vorgezogen, der Arbeit fernzubleiben und die Hugenotten-Premiere platzen zu lassen, um ihrer Forderung nach 24 Prozent Gehaltserhöhung Nachdruck zu verleihen. Das Management des Musentempels hatte (unter Hinweis auf die hohen Defizite im vergangenen Rechnungsjahr und die bereits in der jetzt laufenden Saison fehlenden drei Millionen Mark) 5,5 Prozent geboten. Man einigte sich in der zweiten Novemberwoche vorläufig auf diesen niederen Prozentsatz (der allerdings angesichts der Rezession in Britannien immer noch als hoch angesehen wird). Die privilegierten Instrumentalisten mit 21-Stunden-Woche erhalten freilich pro Woche noch neun Pfund Zulage (etwa 1.400 pro Jahr) — aus den Zahlungen für Funk- und Fernsehrechte an das Opernhaus. Der Zuschlag animierte die Mitglieder der Kapelle jedoch keineswegs zu einer Spitzenleistung. Wobei nicht verschwiegen werden soll, daß die Hugenotten-Partitur auch für gute und erfahrene Orchester eine Herausforderung bedeutet — und woher sollten die heutigen Musiker in London Erfahrung mit Meyerbeers Musik haben?

Dasselbe Konzept wie an der Deutschen Oper Berlin liegt nun auch der Londoner Hugenotten-Inszenierung zugrunde. Freilich wurde von vorn bis hinten überarbeitet. Die Häuserfassaden mit den zugemauerten Fensteröffnungen zitieren keinen konkrekten Ort mehr herbei (wie die Bernauer Straße nach dem Mauerbau). Die zerberstenden und zunehmend von Einschüssen geschmückten Mauern, zwischen denen die Front im Bürgerkrieg verläuft, mag die einen an Nikosia und Dubrovnik erinnern, die Engländer am ehesten an Belfast. Gottfried Pilz hat „verallgemeinert“: kein Fernseh- oder Zeitungsfoto wurde nachgestellt. Die intendierte Botschaft ist deutlich: daß es den Religionskrieg, den man für immer aus der Geschichte verschwunden glaubte, jetzt wieder überall geben kann.

Entfallen ist in London zu Beginn die Kennzeichnung der einen Partei mit „Hugenottensternen“. Die der anderen Konfession verschworene Staatsmacht erhält schon zur knappen Ouvertüre Gelegenheit, die Minderheit — nach einer Provokation — mit Schlagstockeinsatz aufzumischen. Die so tätigen Jungs sind der britischen Eingreiftruppe SAS nicht unähnlich, die schon mal ein IRA- Kommando in einen Hinterhalt lockt und niedermäht. Überzeugend in Covent Garden Judith Howarth in der Rolle der Marguerite de Valois; sie wickelt ihre Koloraturen so ab, daß auch die Leute in der letzten Reihe noch fast von den Samtsesseln gerissen werden. Sie präsentiert ihr Schäferspiel mit neckischen Neonschafen und versucht die exemplarische Versöhnung zwischen den verfeindeten Parteien, indem sie einem papistischen Jüngling und einem lutherischen Bengel das Raufen austreibt. Ihre Absicht, eine repräsentative Heirat über die Fronten hinweg zu arrangieren, scheitert dem Libretto gemäß; doch die Liebe von Raoul und Valentine erfüllt sich im gemeinsam erlittenen Märtyrertod.

Problematisch sind auch in London die — wohl aus ökonomischen Gründen erzwungenen — rüden Kürzungen. Doch dürfte in Covent Garden die Alternative ähnlich gewesen sein wie in der Deutschen Oper: statt fünf Stunden Meyerbeer-Musik höchstens drei — oder gar keine Produktion. Daß man so glaubt managen zu dürfen, verrät die fortdauernde Geringschätzug der Opernbetreiber für Meyerbeers Kunst.

Insgesamt erscheint das Moment des Sozialen, das für Heinrich Heine das Spezifische der Grand Opéra Meyerbeers ausmachte (und in erster Linie den grandiosen Chören anvertraut ist), in der Londoner Version gedämpft. Die zu krassen Effekte, die der Berliner Inszenierung von der Kritik verschiedentlich zum Vorwurf gemacht wurden, erscheinen gemildert — das Ganze domestiziert. Die Tempo-Relationen der Überarbeitung muten stimmiger an. Dabei ist es beim blitzschnellen Eingreifen der militärischen Spezialeinheiten geblieben (die muten tatsächlich sehr gespenstisch an). Die Damen der lebenslustigen schönen Monarchin Margot steigen wiederum in den Swimmingpool (teilweise barbusig). Die im dritten Akt anberaumte Annäherung der beiden Konfliktparteien erfolgt nach amerikanischem Sozialarbeiter-Muster und wird aufs neue der Lächerlichkeit preisgegeben — das ist vom Stück her so intendiert und geht in Ordnung. Gegenüber Berlin, wo Dew vielen als zu „überdreht“ galt, ist die Londoner Produktion zurückgedreht. Das kam den konservativen Geschmacksträgerschichten entgegen. Aber es ist kein „Verrat“.

Der Dirigent David Atherton steuerte mit Anstand zwischen Skylla und Charybdis hindurch; er widerstand der Versuchung, die Kolorierungen der Partitur allzu extrem auszustellen und sorgte für eine markante, straffe Musikfolge, die aber immer wieder gebührend Raum zum Aussingen ließ. John Dew und Gottfried Pilz versuchten zu keinem Zeitpunkt, die Montagetechnik Meyerbeers zu kaschieren: diese Oper resultiert nun einmal aus einer Folge von Tableaus. In ihrer Londoner Erscheinungsform stellt sie den markantesten Beitrag zur Meyerbeer- Renaissance in diesem Jahr dar: Besseres war nicht in Sicht.

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