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Besuch in der Mainzer: „Irgendwie museal“

Am 13. November 1990 wurden zwölf besetzte Häuser in der Mainzer Straße im ehemaligen Ost-Berlin polizeilich geräumt/ Zum Jahrestag kehrten einige Besetzer besuchsweise in die alte Heimat zurück/ Die neuen Mieter schließen die Türen  ■ Aus Berlin Dirk Ludigs

Nicht allzu viel hat sich hier getan seit der Wende. Ein paar neue Leuchtschriften über jenen Geschäften, die die Währungsunion überlebt haben. Ein paar Videotheken in alten Gründerzeithäusern. Von den Fassaden bröckelt der Putz wie dunnemals. Die Straßen im Viertel Friedrichshain wirken verwaschen und grau, auf den verdreckten Plätzen herrscht Ödnis. Ein Stadtteil, so „ehemalig“ wie die DDR, in der er lag.

Inmitten dieser postdeutschen Tristesse erheben acht Häuser ihre frischgedeckten Dächer wie freche Emporkömmlinge in den Himmel über Berlin. Neubestuckte Fassaden wie aus Zuckerwerk leuchten cremefarben in Vanille und Pistazie, verkünden den süßen Traum vom besseren Leben in der Bundesrepublik. Die ehemals besetzten Häuser der Mainzer Straße sind Fremdkörper geblieben: Früher saß der Westimport in ihnen drin, jetzt klebt er außen dran.

Bastian, ein ehemaliger Besetzer, der nach einer Odyssee durch zig Wohnungen wieder in seiner alten Heimat Kreuzberg gelandet ist, traut seinen Augen nicht: „Die sehen ja alle völlig gleich aus!“ Anette, die nach der Räumung monatelang nicht mehr hierherkommen wollte, verbessert ihn: „Die Nummer 3, das alte Frauen- und Lesbenhaus, strahlt immer noch den ruinösen Charme von damals aus.“ Die Eigentümerin hatte sich gegen die Modernisierung gesträubt, auch die Räumung dort soll illegal gewesen sein. Wen kümmert's heute noch...

An den neubewohnten Häusern mit den Nummern 2 und 11 prangen bunte Farbeierwürfe. „Kommt aber an die ursprüngliche Gestaltung nicht ran“, meint Bastian. Schließlich entdeckt er beim genauen Hinsehen doch noch ein paar alte Parolen an der Nummer 4, wo er ein halbes Jahr lang wohnte. „Irgendwie museal“, findet Bastian, „ich habe da schon 'ne gewisse Distanz dazu, ich habe lang genug daran geknackt, daß die uns hier platt gemacht haben.“ Ein paar Monate lang hatten die Ex- Besetzer noch versucht, ihre Strukturen zu bewahren, fuhren durch halb Europa, um Interviews zu geben und die linke Szene allerorten mit den nötigen Informationen zu versehen, doch dann brach alles mehr oder minder auseinander. Auf dem letzten „Mainzerstraßenplenum“ fanden sich gerade mal drei Leute ein.

Ein bißchen mulmig ist den Ex- Besetzern wohl, wie sie so vor den Häusern stehen. Rund um den Jahrestag hat die Polizei vor der Mainzer Straße wieder Stellung bezogen, selbst auf dem Friedhof hinter den Häusern steht ein „Sixpack“. Wachschutz patrouilliert.

Plötzlich ein lautes Gekreische: Aus Richtung Frankfurter Allee kommen unvermutet drei unscheinbar aussehende Typen. „Was ist denn jetzt los“, prustet Bastian, „Jahrestag — da trifft man lauter alte Bekannte.“ Die Veteranen begrüßen sich mit Schulterklopfen, die Beamten in der Polizeiwanne schauen nur kurz hoch — keine Gefahr, die alten Bekannten sind ausschließlich mit sich selbst beschäftigt.

„Keinen Haß“, verspürt Bastian auf die neuen Mieter, allesamt Ossis mit Dringlichkeits-WBS. „Die können doch nichts dafür, bei der Wohnungssituation ist es nur verständlich, daß die hier einziehen. Aber sie müssen halt damit leben, daß es in den nächsten Wochen ein bißchen unruhig wird, daß ihre Fassaden farblich etwas anders gestaltet werden als von den Baufirmen.“ Anette, die mit ihrem Kinderwagen die Mainzer entlangspaziert, ergänzt: „Die Farbeier galten der Wohnungsbaugesellschaft, den Bullen und dem Senat, nicht den Mietern...

Das sehen die MieterInnen allerdings anders. „Natürlich treffen die uns mit“, sagt Frau Dalg, Gemüsehändlerin, die gerade ihr zweites Kind erwartet und sich schwerfällig in ihrer neuen Wohnzimmercouch zurücklehnt. „Ich hatte den ganzen Müll auf meiner neuen Auslegeware, und fünf Minuten später hätte mein Wäscheständer auf dem Balkon gestanden, na, ich wäre ja ausgeflippt. Da versucht man, es sich nach all den Jahren mal vernünftig gemütlich zu machen, und denn so wat!“

Vor der Wohnungstür der Dalgs endet Bastian und Anettes Ausflug in die alte Heimat. „Ich will nicht, daß die hier reinkommen, nach den Farbeiern von gestern, und mein Mann will es auch nicht.“ Dabei ist sie den ehemaligen Besetzern nicht an sich feindlich gesonnen. In den Hochzeiten der Mainzer waren die „jungen Leute“ häufig zum Einkaufen in ihrem kleinen Gemüseladen. „Die waren nett und lustig, bloß mit der Zeit, da wurden se immer dunkler, auch von ihrer Art her.“ An die Räumung erinnert sich Frau Dalg noch recht gut. „So was kannten wir ja gar nicht, wie Bürgerkrieg war das, den Laden haben wir an den Tagen gar nicht erst aufgemacht.“ Noch heute, sagt sie, sei die Besetzerzeit in ihr lebendig. „Wenn ich die Bauzäune entlanglaufe, dann seh' ich die Straße immer noch, wie die Besetzer vor den Häusern sitzen.“

Aus der Zeitung hat sie erfahren, daß man sich um eine Wohnung in der Mainzer bemühen kann. „Aus Daffke“ habe ihre Familie sich beworben. „Wir hätten's doch im Leben nicht geglaubt, daß das klappt, wir dachten, heute wird doch mit den Wohnungen noch mehr geschoben als zu DDR-Zeiten.“

Im Oktober ist sie mit ihrer Familie in die nach westlichem Standard modernisierte Wohnung eingezogen. Das Bad gekachelt, ein großes Kinderzimmer, alles, was sie sich in ihrer Anderthalb-Raum-Wohnung mit Innenklo immer gewünscht haben. Die Miete ist hoch, wie hoch, will sie nicht verraten, „aber einschränken müssen wir uns. Wir schenken uns nichts zu Weihnachten, außer der Kleinen natürlich.“ Skrupel wegen der Vergangenheit der Häuser hatte Frau Dalg nicht. Jahrelang habe sie sich einschränken müssen und nur wegen ihrer Schwangerschaft überhaupt einen Wohnberechtigungsschein erhalten. Und doch: Als erstes haben die Dalgs ihre Hausratsversicherung umgemeldet, man weiß ja nie, so kurz vor dem Jahrestag.

Natürlich wollten die Ex-Besetzer ihre Häuser zurückhaben, glaubt Frau Dalg mit Blick auf die Flecken in ihrem Teppich, es werde wohl noch jahrelang so gehen. „Schließlich haben die ja auch versucht, sich was zu schaffen. Angst hab' ich bloß, wenn sie wieder mit Raketen schießen, wie damals.“

Mit ihren neuen Nachbarn hat sie bislang kaum geredet, schon gar nicht über die Besetzerzeiten. Fast jeden Tag ziehen neue Mieter ein, langsam füllt sich auch das Hinterhaus. Vierzig Millionen haben Senat und Wohnungsbaugesellschaft für die Modernisierung hingeblättert. In ein paar Wochen werden auch die übrigen Häuser fertig sein.

Wenn dann alles ein bißchen ruhiger geworden ist, denkt Frau Dalg, dann könnte sie vielleicht auch mit den Ex-Besetzern von damals ins Gespräch kommen. Ein bißchen interessiert ist sie. „Nur nicht, wenn am Donnerstag der Teufel los ist.“

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