Genossen geschafft?-betr.: Mehr Rythmus in der Taz-Debatte

Mehr Rhythmus

in der taz-Debatte

Früher waren die Ideen der Wirklichkeit voraus. Seit ein paar Jahren hat die Wirklichkeit sich von den Ideen emanzipiert und eilt ihnen voraus. Die Gegenwart wird zum Kugelblitz, und auch wir, die Generationen der 68er und 78er, haben keine special relations zur Zukunft mehr. Das heißt aber nicht, daß andere Ideen siegreich geworden wären. Lediglich ihre Splitter flirren durch die Gegenwart.

Also muß man eine neue Wahrnehmung entwickeln, sich umstrukturieren, den Schreibtischstuhl verrücken. In allen politischen Gruppierungen und relevanten Medien, die überhaupt den Raum für Besinnung haben, gibt es welche, die das versuchen. Wenn man den Kommentaren glauben kann, sind fast alle in einer Sinnkrise. Trotzdem sind nicht alle in der gleichen Lage. Zwei Elemente haben sich in Deutschland (und Europa) herausgebildet, die sich den Realitäten völlig unterwerfen und gewinnbringend den privilegierten Anschluß halten: Opportunismus und Bürokratie. Das Abstreifen jeder „überflüssigen“ Idee, in dem Moment, wo sie Reibung an der Wirklichkeit erzeugt, verbunden mit der Aufrechterhaltung aller Apparate in ihrer bisherigen Form — das ist im heutigen Deutschland die Formel, die Macht verspricht. Die FDP ist in einer Sinnkrise — Möllemann ist es nicht. Die Sicherheitsbedingungen in Europa wanken — die Nato steht. Die Grünen finden kaum noch statt — der Apparat lebt.

Es gibt einen bestimmten Typus, der die rotierende Realität gut übersteht. Es sind die, denen die Urideen der Organisationen oder Milieus relativ wurscht sind. Das befähigt sie, dem Ersaufen der Ideen in den Bilderfluten ungerührt zuzusehen. Gleichzeitig sind sie in der Lage, dieselben Ideen zu beschwören, wenn die Ängste der Apparate nostalgischer Rhetorik bedürfen. Die vormaligen Ideenträger, zu denen alte Haudegen ebenso gehören wie die Vordenker und zuweilen die ganz Jungen, werden müde, resigniert, trennen sich. Die anderen machen weiter. Die Grünen auf Bundesebene haben es bewiesen: Nach dem Abtauchen wird eben unter Wasser weitergemacht. Nur sieht's keiner.

Nicht erst 41 Jahre Sozialismus machen müde, auch schon elf Jahre Berlin-Zulage können das. Staatliche Förderung wirkt auf Projekte wie Zucker auf den menschlichen Körper. Zuerst provoziert er einen Energieschub, auf Dauer macht er träge. Die radikale Tageszeitung zieht sich ob der radikalen Veränderungen in der Welt die Decke über den Kopf. Anstatt die unbestrittene Lebendigkeit der Zeitung aus ihren ersten Jahren zum Überleben auf dem mehr oder weniger freien Markt zu nutzen, hat man sich in einer Mischung aus Selbstausbeutung, frontstädtischer Subvention und Image- Dividende über Wasser gehalten. Man hat Strukturen aufrechterhalten, die zu Beginn den Durchbruch der taz zu einer bundesweit bedeutsamen Zeitung erst ermöglicht haben, die aber auf Dauer alle Beteiligten unglücklich machten.

Wer vom Staat eine zeitlang Knete abzockt, um sich auf ein überlebensfähiges Niveau zu bringen, ist pfiffig. Wer das auf Dauer macht, ohne es zu müssen, ist ein Schnorrer. So entwickelten sich die witzigen Anarchisten zu unkündbaren Staatsknete- Beamten. Sollten die, die es dem Staat immer kräftig geben, indem sie von ihm kräftig nehmen, sich nun als gealterte Antikapitalisten an einer Immobilie laben wollen? Der Anarchist als Rentier und der (undogmatische) Kommunist als Couponschneider?

Was also steckt hinter der taz-Debatte über die Genossenschaftlichkeit? Auf jeden Fall geht es nicht um Genossenschaften an sich. Es geht einzig um die Frage, ob bei der taz nach zwölf Jahren zunehmend schlechtgelaunter Egalität, schlechtbezahlter Arbeit und schlechtbeleumundeter Zuschüsse nicht eine Strukturrevolution nötig ist. Ich würde vielen Unternehmen Experimente mit Eigentum und Gleichheit empfehlen — der 'FAZ‘ beispielsweise. Der taz im Moment nicht. Tatsächlich versuchen sich immer mehr „normale“ Unternehmen an Teamarbeit und nichthierarchischer Kommunikation. Sie wollen sich so Strukturen geben, die mit der rasenden Wirklichkeit mithalten können (ohne sich dabei ihr anheim zu geben). Die taz braucht für dasselbe Ziel den gegenteiligen Impuls. Rhythmisch gedacht. Nach mehr als einem Jahrzehnt Genossenschaftlichkeit sind mehr Privateigentum und mehr Hierarchie ein Experiment. Ein Experiment nicht zuletzt für die, die ernsthaft hierarchische Arbeitsstrukturen zuletzt in der Obertertia erlebt haben. Doch solche Risiken einzugehen, scheuen sich die Strukturkonservativen der taz. Nur, wovor genau fürchtet man sich eigentlich? Vor einem Chefredakteur mit Namen Klaus Hartung? Vor der Ressortchefin Vera Gaserow? Vor mehr Transparenz und Verantwortung? Davor, daß Leistungskriterien nicht mehr so leicht durch politischen Strömungszauber, „Iirgendwie- echt-oder-so-Gequengel“, und das Schimpfen auf die Verhältnisse verwässert werden könnten?

Bis auf weiteres braucht die taz mehr Hierarchice und mehr Geld. Antiautoritär und egalitär ist sie von ganz alleine. Natürlich kann die taz dann nach dem zweiten Zwölf-Jahres-Zyklus erneut erstarrt sein. Dann braucht es eben noch einmal eine Strukturrevolte, eine Fusion in die europäische Ebene hinein oder was immer. Bis auf weiteres hat die taz nur eine Chance, zur Rückkehr von Ideen in die Wirklichkeit beizutragen — den eigenen Wahrnehmungsapparat und sich selbst zu revolutionieren.

Mit einer Mischung aus Resignation und Erleichterung denken gegenwärtig viele, mit den Krisen der taz und der Grünen gingen nur die siebziger Jahre endgültig zu Ende, das Siechtum höre auf. Besagte Generationen gingen im großen Thrill der postmodernen Katastrophengesellschaft auf und unter. Das mag sein, ist aber noch nicht erwiesen. Solange Politik und Öffentlichkeit in Deutschland in einer Sinnkrise sind, ist der Ausgang offen. Solange die SPD der Ersatz für die Grünen sein soll und die 'Berliner Zeitung‘ — die 'FR‘ ohne Dokumentationsteil — die Alternative zur taz, gibt es eine gewisse Verantwortung auch gegenüber der geistigen Verfassung der Republik.

Nicht zuletzt würde es mich furchtbar ärgern, wenn ausgerechnet in dem Moment, in dem die 68er die Projekte an die 78er weitergeben (müssen), der Generationenstab vor lauter Schwäche in den verbliebenen Szenesumpf fiele. Bernd Ulrich, Köln