: Hunger und Diebstahl
■ Düsseldorfer Symposium „Terms of Art“ über nigerianische Kunst
Am Anfang steht das Scheitern einer Ausstellung: Die beiden Ethnologinnen Nadja Taskov-Köhler und Elisabeth Luchesi wollten neue Kunst aus Nigeria außerhalb muffiger Völkerkundemuseen zeigen; nun wird in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordhrein- Westfalen zumindest darüber geredet. Das zweitägige Symposium „Terms of Art“ widmet sich exemplarisch zeitgenössischer Kunst aus dem bevölkerungsreichsten afrikanischen Land. An Nigerias reichen Rohstoffen ist die Industrie sehr wohl interessiert — erst beim Zinnabbau entdeckte man so nebenbei die traditionelle Nok-Kultur.
„1990 war ich für ,documenta IX‘ auch in Afrika auf der Suche. Diese Entdeckungsreise hat sich weder als fruchtbar noch als geglückt erwiesen.“ Mit seinen phonstarken Agitationen mischte Jan Hoet, verantwortlich für die nächste „documenta“, das völkerverständigende Treffen von Ethnologen und Museumsmachern, Kulturbeamten, Journalisten und schwarz-afrikanischen Künstlern kräftig auf. Bis in die Kaffeepause hinein stritt er sich mit den Kulturvermittlern auf dem Podium und im Vortragssaal der noblen Kunstsammlung. „Die schwarze Ignoranz gegenüber schwarzer Kunst ist sehr viel größer als die weiße Ignoranz“, ablesbar an totenstillen Museen, eingeworfenen Akademiefenstern und fehlender Achtung für Kunst. Seine, Mißverständnisse geradezu herbeiprovozierenden, Beobachtungen sind — verstünde man sie wörtlich — bitter und böse. Man sollte sie jedoch nicht als von Zynismus oder blankem Eurozentrismus getriebene Befindlichkeit vom Tisch wischen, vielmehr Hoets Ansätze fortführen: Für ihn ist die zeitgenössische Kunst ein Produkt der Französischen Revolution und ohne aufgeklärte Freiheit nicht möglich. In Schwarzafrika hingegen sei die Gesellschaft in einer Übergangsperiode; und somit auch ihre Artefakte: Diese funktionieren kaum mehr als „magische“ Kultobjekte und sind noch nicht autonome Kunstwerke einer „technologischen und materiellen Welt“. Dazwischen stehe Hunger, Diebstahl, Streit der Nationalitäten und Religionen.
Die erste Welt kennt demgegenüber nur einen „Hunger nach Bildern“. Wenn also die wahre Kunst, eurozentrisch definiert, ein Luxusprodukt demokratischer Industriestaaten ist, so stellt dies weniger die schwarzafrikanische als vielmehr die westliche Kunst in Frage. „Vielleicht ist afrikanische Kunst authentischer als europäische Kunst — vielleicht“, schränkt Hoet diese Hoffnung ein. Denn was bedeutet Authentizität im globalen Medien- Dorf?
Hoet, der auf seiner Kunst-Expedition durchaus Arbeiten gefunden und privat erworben hat, möchte abwarten: „Wir wissen nicht, ob diese Kunst der Kritik offensteht, wie es für die westliche Kunst der Fall ist.“ Demgegenüber drängen die nigerianischen Künstler auf anerkennende Aufmerksamkeit durch die westlichen Ausstellungsinstitutionen. Dies hat ökonomische, politische, soziale Gründe: Die schwarzafrikanischen Staaten und ihre Künstler befürchten zu Recht, noch weiter ins kulturelle und finanzielle Abseits der vorrangig Ost-West-orientierten Weltpolitik zu geraten. Während die Künstler in den sechziger Jahren, nach der Befreiung vom europäischen Kolonialherren, für die Findung einer nationalen Identität von besonderer Bedeutung waren — Nigerias Grenzen wurden, wie überall in Afrika, willkürlich von den Eroberern gezogen —, braucht man sie nun als Botschafter der Hoffnung auf eine gemeinschaftliche Welt: Fast flehentlich beschworen ausnahmslos alle Teilnehmer aus Nigeria, den Dialog nicht abbrechen zu lassen. Das waren keine Floskeln.
Ein weiterer Teil des Symposiums galt dem Kompetenzstreit, ob schwarzafrikanische Gegenwartskunst ins Kunst- oder Völkerkundemuseum gehöre. Ein ehemaliger Beuys-Schüler beschreibt seinen Werdegang nach Abschluß des Akademiestudiums: „Die Kommilitonen werden von Kunstvereinen und Galerien ausgestellt, und mein Weg führte mich direkt ins Völkerkundemuseum.“ Dort sei er als Farbiger doch besser aufgehoben, habe man ihm auf diesen Widerspruch geantwortet. Soll die ästhetische Gestalt der außereuropäischen Arbeiten, wie etwa bei der multikulturellen Weltkunst-Ausstellung „Magiciens de la terre“ 1989 in Paris, für sich wirken; oder ist nicht die Einbindung in einen gesellschaftlichen Sachzusammenhang, wie es das Völkerkundemuseum mit didaktischer Hilfe anstrebt, für fremdartige Artefakte sinnvoller? Während die Kunstethnologin Brigitta Benzing für die generelle Kontextualisierung der Kunst plädiert, steht für andere die kolonialistische Vergangenheit der Völkerkundemuseen — hier wurde die exotische Beute verstaut — einer freien Betrachtung außereuropäischer Kunst im Westen.
Mehr als tausend Künstler arbeiten allein in Nigeria. Sicher, ein Großteil erstellt „Airport-Art“ für das touristische Handgepäck, während andere ihren Lebensunterhalt mit der Herstellung von Bischofssesseln oder einem Wandteppich für die Präsidenten-Lounge sichern. Aus dieser „No-name-Gesellschaft“ (Luisa Francia) ragten immer wieder zwei Namen heraus: Twin Seven Seven — eine Arbeit wurde per Dia vorgestellt — und Dele Jegede, welcher unter Zeitdruck nur zwei eigene Beispiele zeigen konnte. Ansonsten hatte die Auswahl der von verschiedenen Rednern projizierten Bilder und Skulpturen eher zufälligen Charakter.
Jochen Becker
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