: Wieder gut geht nie
Über „Ullmanns Werk“ und andere totgeschlagene Musik ■ Von Elisabeth Eleonore Bauer
Schreiber dieser Zeilen bekennt offen, daß sein Bild von der Musik des 20. Jahrhunderts durch die Beschäftigung mit Ullmanns Werk einen deutlichen Knick bekommen hat.“
Ullmanns Werk? Die Rede ist vorläufig nur von der Kammeroper Der Kaiser von Atlantis, die Viktor Ullmann 1943 im Ghetto Theresienstadt komponiert hatte. Obiges Bekenntnis aber steht im Programmheft einer Inszenierung zu lesen, die 1989 an der Neuköllner Oper zu sehen war, und es stammt von einem, der wissen muß, was er sagt: Der Neuköllner Opernchef Winfried Radeke hat, nicht zuletzt um urheberrechtlichen Querelen aus dem Wege zu gehen, eine Neufassung des Stücks nach dem Originalmanuskript erarbeitet. Auch anderswo ist Ullmanns Werk schon gespielt worden, in Stuttgart, Wien, Gelsenkirchen und Hamburg zum Beispiel, in einer anderen, nämlich der von dem Dirigenten Kerry Woodward erarbeiteten Version — und es wurde bei anderer Gelegenheit auch anders beurteilt: „Viktor Ullmanns Musik ist [...] einfach zugeschnitten“, hieß es aus Anlaß der Gelsenkirchner Aufführung in der taz: „die Mittel der Operette und des Weill-Songs werden fortgeschrieben.“
Daß diese Musik so ganz verschiedene Eindrücke hinterläßt, liegt daran, daß sie über vierzig Jahre lang so gut wie tot war: buchstäblich totgeschlagen. Wenn sie also heute nicht nur neu gehört werden muß aus einer historischen Distanz heraus (die sowieso die Ohren belagert hält mit vielerlei anderer Erfahrung) — sondern daß sie auch nicht gehört werden kann, ohne daß stets der moralische Schlag des Gewissens mitspielt, ohne daß immer erst dessen gedacht werden muß, was aus dieser Musik hätte werden könne —, wäre sie nicht diese Musik.
„Hallo, hallo! Achtung, Achtung!“: Der Trommler, der dem Volke von Atlantis die Verfügungen des heillosen Kaisers Overall bekannt zu geben hat, tritt in Neukölln gleich doppelt auf, singt mitunter die Notenvarianten, die sich in Ullmanns Partitur finden, mit sich selbst zweistimmig und kann so auch beides im Wechsel vortragen: sowohl das erste Trommel- und Trompetenlied mit der perfiden Parodie auf die deutsche Nationalhymne — wie auch dessen zweite, harmlosere Variante. Ersteres im Manuskript durchgestrichen und vermutlich von der Lagerleitung wegzensiert. Letzteres ein Muster innerer Selbstzensur. Beides auf einmal ein gespenstisch verfremdetes Exempel für die Umstände, unter denen im KZ Kunst produziert wurde. Die Uraufführung des Kaiser von Atlantis war in Theresienstadt noch nach der Generalprobe von der SS verboten — Textdichter und Komponist sind im Herbst 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet worden.
Wenn von Ullmanns Werken die Rede ist — und von denen seiner Theresienstädter Komponistenkollegen, von Gideon Klein, Pavel Haas, Hans Krasa —, dann geht es vor allem um die Umstände ihrer Entstehung. Zu Ullmanns Werk gehört, wie zu dem von Pavel Haas, Gideon Klein und all den anderen, ja auch das, was sie noch hätten komponieren können, wären sie nicht umgebracht worden. Wieder gut geht nie. Zwar gehören zu Ullmanns Werk außerdem noch die Kompositionen, die er bis zu seinem vierundvierzigsten Lebensjahr als freischaffender Komponist, Dirigent und Musikschriftsteller geschrieben hatte. Aber die sind größtenteils verschollen — vollständig erhalten durch Glück und Zufall blieb eben das, was er als Häftling im Ghetto komponiert hatte. Und davon war bis vor wenigen Jahren, als der Kaiser von Atlantis eine Aufführungsserie erlebte, nichts bekannt.
Der Kaiser hat einiges in Bewegung gebracht. Als George Tabori das Stück 1987 in Wien inszenierte, kamen einige Zuschauer auf die Idee, einen Verein zu gründen, der trotz alledem als eine Art praktischer Wiedergutmachung die Wiederbelebung weiterer Werke von Theresienstädter Komponisten zum Ziele hat: musica reanimata. Noch vor Jahr und Tag, als dieser Verein auf die Suche nach namhaften Interpreten ging und auch ein paar der großen deutschen Musikverlage anwerben wollte, war das Echo eher lauwarm: Man sei, so hieß es, im Bereich Neuer Musik eigentlich nur an zeitgenössischen, lebenden Komponisten interessiert. Kann wer was dafür, daß diese Komponisten keine lebenden Zeitgenossen sind, fragte musica reanimata zurück, und zwar mit Erfolg. Mittlerweile hat sich das Berliner Verlagshaus Bote & Bock bereit gefunden, die Studie für Streichorchester (1941) von Pavel Haas zu drucken — und das Stück wurde gestern erstmals und wird heute wieder gespielt von den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Simon Rattle.
Die Uraufführung eines Klavierkonzertes von Viktor Ullmann dagegen, geplant für die nächsten Berliner Festwochen, steht noch in den Sternen. Wenn man nach den Schwierigkeiten fragt, die der Aufführung dieses Werkes entgegenstehen, so wickelt sich in Windeseile das ganze Knäuel der Probleme auf, die überhaupt den Umgang mit dieser totgeschlagenen und wiederzubelebenden Musik ausmachen: Wieder gut geht ja sowieso nie. Aus dem Büro der Festwochen schallt froh die Botschaft, man würde sowas jederzeit gerne machen, etwas naßforsch mit dem Zusatz versehen: Ullmann, Klein und Co. seien ja augenblicklich doch ziemlich „in Mode“. Ein gutes Orchester (as RSO) stünde zur Aufführung bereit, am liebsten aber schon etwas eher und etwas passender, nämlich im Rahmen des Begleitprogramms zu der Ausstellung „Jüdische Lebenswelten“. Auch hat man mit Anatolij Ugorski einen hervorragenden Pianisten — aber noch fehlt der Dirigent und vor allem: noch fehlen die Noten.
Druck will das Mainzer Verlagshaus Schott besorgen — die beste Adresse, die man sich wünschen kann. Aber die Urheberrechte werden vorläufig noch blockiert von einem Londoner Anwaltsbüro, das weder von Musik noch vom Geschäft des Musikvertriebs auch nur die geringste Ahnung hat und obendrein Ullmanns Werk offenbar nur vom Hörensagen kennt. Diese Firma vertritt juristisch die Interessen der beiden überlebenden Kinder Ullmanns, die 1939/40 mit einem der letzten von den Nazis geduldeten Transporte über Skandinavien nach England evakuiert wurden, die diesen Schock nicht verkraftet haben und seither in psychiatrischen Anstalten leben.
Was „Ullmann's works“ anbelangt, so zeigen sich die Anwälte ausschließlich interessiert an der „exploitation“ — und zwar offenbar meistbietend. Sie haben davon Kunde, daß „The Emperor“ in jüngster Zeit einige Male aufgeführt worden ist, und wittern nun das posthume große Geschäft. Aber selbst wenn Ullmanns Werk noch weiter „in Mode“ käme: An neuer Musik hat sich noch nie einer durch bloßen Notenverkauf eine goldene Nase verdient. Auch wird aus dem Kaiser, trotz bester Kritiken, kein ökonomisch siegreicher Emperor werden. Schott hätte die Londoner Anwälte leicht davon überzeugen können mit einer Einladung zu den Aufführungen, die die Neuköllner Oper alle Jahre wieder im trüben Monat November zum Gedenken anbietet: die legendäre Inszenierung des Kaiser von Atlantis fand in diesem Jahr vor halbleeren Sitzreihen statt. Gewisse Dinge lassen sich nicht zwingen. Ullmanns Werk bleibt, ob einfache oder große Offenbarung, immer etwas für Minderheiten.
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