: Der Pfarrer ist out
Hamburg (dpa/taz) — Morgen ist Buß- und Bettag. Die Christen werden zur Besinnung über das eigene Handeln und zum Gedenken an die Toten aufgerufen. Daß die Toten anständig unter die Erde gebracht werden, darum kümmern sich immer weniger Geistliche, sondern verstärkt bezahlte Privatpersonen.
Niemand sprach von Gott am Grabe Friedrich Nietzsches. Anstelle des Vaterunsers mit der Bitte „geheiligt werde dein Name“ schloß ein Freund des antichristlichen Philosophen seine Ansprache mit dem auf diesen bezogenen Wunsch: „Heilig sei Dein Name allen kommenden Geschlechtern!“ Ein anderer Trauernder zitierte nicht aus der Bibel, sondern aus Nietzsches Werk Also sprach Zarathustra: „Glück vor Sonnen-Aufgang! Der Tag kommt: so scheiden wir nun!“
Was damals, vor über neunzig Jahren, die große Ausnahme war — das ausschließlich weltliche Wort am Grabe, statt geistlichen Zuspruchs eines Pfarrers — , liegt heute stark im Trend. Nach einem neuen, sich auf unterschiedliche Quellen berufenden Überblick der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW, Stuttgart) werden im Norden der alten Bundesrepublik bei zehn Prozent der Bestattungen die Traueransprachen von weltlichen Rednern gehalten. In den neuen Bundesländern überwiegt ihr Anteil entsprechend der noch stärkeren Entkirchlichung eindeutig.
Im Berliner Osten werden fast 80 Prozent der Bestattungen nichtkirchlich ausgerichtet, im Bundesland Sachsen 70 Prozent. Im Großraum Frankfurt/Main werden 30 bis 50 Prozent der Grabreden nicht von Pfarrern gehalten. Am stärksten traditionell-kirchlich geprägt geht es auf den Friedhöfen im Süden der alten Bundesrepublik zu. Dort liegt der Anteil der freien Trauerreden bei nur einem bis drei Prozent.
Dem EZW-Überblick zufolge üben die meisten der etwa tausend freien Bestattungsredner in den alten Bundesländern ihre Tätigkeit als Nebenerwerb aus, manche aber auch hauptberuflich. Die Honorare pro Bestattung liegen zwischen 100 und 350 Mark. Die hauptberuflichen Redner haben zum Teil eine Schauspielschule oder Rednerkurse absolviert, wie ein Hamburger Bestattungsunternehmer sagte. Sie seien bei Trauergemeinden oft geschätzter als Pfarrer.
Ein evangelischer Pfarrer stellte in einer kirchlichen Publikation vor einiger Zeit den, wie er formulierte, Stiefkollegen im schwarzen Anzug ein gutes Zeugnis aus. Der bezahlte weltliche Redner tue nichts Verwerfliches. Er biete eine seriöse Dienstleistung, einschließlich gepflegten Aussehens und guter Umgangsformen.
Ein anderer evangelischer Theologe äußerte sich eher kritisch: „Da war die Rede von Abschied, von Unendlichkeit, von Mutter Natur, von den Sternen, vom Nebel und vom Nichts. An einem Brennpunkt des Lebens beherrschte geistiges Vakuum die Feier.“ Es möge zwar auch bei Priestern und Pastoren leere, geschwätzige und mißlungene Feiern geben, räumte er ein, doch hülfen Tradition, bewährte Strukturen und erprobte Inhalte den Amtsträgern der Kirche und gäben der Feier einen festen Rahmen.
Der Bestattungsunternehmer merkte als Besonderheit an, daß es unter dem halben Dutzend hauptberuflicher weltlicher Redner in Hamburg keine Frau gebe. „Bei uns ist eine Frau auch noch nie verlangt worden“, fügte er hinzu.
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