: SOMNAMBOULEVARD — TRAUMKÖRPER ON LINE Von Micky Remann
Viele LeserInnen — danke, danke! — äußerten sich wie Frau V. aus V. kritisch über den Somnamboulevard, die ihn „wirr und unlogisch“ nannte. Keine Frage: Wie kann einer, der träumt, nämlich ich, sich an jemanden wenden, der nicht träumt, nämlich dich? Ganz einfach. Da du dieses liest, schlafe ich. Ich liege mit geschlossenen Augen still auf dem Futon, bin aber von Traumkopf bis Traumfuß eingetaucht in die Konstruktionen meines neurologischen Innenraums. Außenreize nehme ich keine wahr und bekäme auch nicht mit, wenn du zur Tür hereintreten solltest (solange du es nicht zu laut tust). Derart den Impressionen deiner Welt enthoben, mangelt es mir doch nicht an Sinnesreizen. Im Gegenteil, die gibt es zuhauf auf dem Somnamboulevard und bilden schließlich Inhalt und Clou dieser Kolumne. Aber du fragtest ja nach der Art der Übertragung dieses meines Zustands in deinen. Gerne.
In der Evolution vom auf dem Baum schlafenden Affen bis zu dem auf der Matratze schnarchenden Homo sapiens haben sich zwei Dinge herausgestellt. Erstens, der Traum bildet einen durch nichts zu ersetzenden Tatsächlichkeitsraum (abgekürzt T-Raum), dessen Wirklichkeit sich von der anderen Wirklichkeit nicht wirklich unterscheidet.
Zweitens, der Affe darf beim Schlafen nicht vom Baum fallen.
Darum hat er gelernt, wenn er im T-Raum beispielsweise rennt, nur seine Traummuskeln, nicht aber seine physische Beinmuskulatur zu beanspruchen. Ausgenommen von dieser Sicherheitsmaßnahme sind jedoch die Augen und Geschlechtsmuskeln, die im Traumraum wie im Wachraum eine identische Motorik aufweisen. Wenn ich im Traum also nach rechts schaue, drehen sich meine Pupillen ebenfalls nach rechts, wovon du dich jederzeit überzeugen kannst. Zurück zur Methode. Weil Augen ideale Transfermodule sind, wurden meine Lider mit Sensoren bestückt, die meine Augenbewegungen im Schlaf an eine photomotorische Lichtschranke auf dem Nachttisch übertragen, wo ein Computer ziemlich komplizierte Umsetzungen vornimmt. Obwohl, so kompliziert ist es auch wieder nicht, denn er muß lediglich die Morsesignale meiner Augenbewegungen in Buchstaben umwandeln.
Nach einigen intensiven Übungen im Schlaflabor der Standford University ist es mir gelungen, meine Augen aus dem Traum heraus bewußt zu steuern. Das kann ich, weil ich ja weiß, daß ich — wie auch im Moment— träume. Wüßte ich es nicht, könnte ich logischerweise diese Echtzeit-Kolumne nicht verfassen. Was immer auf dem Somnamboulevard Mitteilenswertes geschieht, schreibe ich, der Somnamboulevardjournalist, mit langen und kurzen Augenzucken im Morsealphabet in den Nachttischcomputer — während alles Übrige im Körper normal weiterschläft. Soviel zur Übertragungstechnik des luziden Träumens. Per Modem geht der Bericht dann on line zum „Wahrheits“-Monitor nach Berlin, und der Rest ist traumhaft easy: speichern und drucken.
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