: Ein Film wie eine Rock-Ballade
■ „Indian Runner“ von Sean Penn
Indian Runner beginnt so, als habe Jim Morrison einen seiner Indianer-Songs mit verhuschter Handkamera und raunender Schamanen- Stimme verfilmen wollen. „... der Jäger stiehlt den letzten Atem des gehetzten Wildes...“
Filme, die so beginnen, können zur Qual werden. Vor allem, wenn es sich um den ersten Film eines Autorenfilmers handelt. Indian Runner wurde von Sean Penn geschrieben und inszeniert. Und beim exzentrischen Schauspieler Penn stand zu befürchten, daß er sich als Regisseur exzessiv und avantgardemäßig würde austoben wollen.
Allerdings, der ambitionierte Anfang des Films ist nicht der „richtige“ Anfang, sondern eine Hommage an die Wildnis und die sechziger Jahre und vielleicht auch ein wenig an den grand wizzard der Doors.
Der richtige Anfang jedenfalls geht voll ab, mit quietschenden Reifen in Großaufnahme, mit Polizeisirene und Verfolgungsjagd, mit einer falschen Bewegung und einem kleinen Gauner, der erschossen im schneebedeckten Stoppelfeld liegt. Lange bleibt die Silhouette des zielenden Polizisten stehen, wie eine Erinnerung.
Das ist der richtige Anfang, und dann also die Geschichte. Es ist die Ballade vom Polizisten in der kleinen Stadt irgendwo in Amerika. Bruce Springsteen erzählt sie in seinem Song vom „Highway Patrolman“. Es geht um den Polizisten Joe und seinen Bruder Frank. Joe kreuzt im Streifenwagen über den Highway, und er schlichtet kleine Streitereien in der lokalen Bar. Das ist sein Job. Frank kommt von der Army nach Hause, und er sieht aus wie ein Held in seinem langen Mantel und den schwarzen Lederhandschuhen und dem Barrett auf dem Kopf. Frank kommt in die kleine Stadt zurück, aber noch bevor er seine Eltern besucht, schwingt er sich auf einen Frachtzug und fährt in die weitere Welt. Joe bewundert ihn, aber „Franky ain't no good“.
Die Hommage im Vorspann hat die Funktion der vorab gesprochenen Moral der Geschicht': Indian Runner ist eine filmische Ballade. Sean Penn hat seinen Film dem Pop- Filmer Hal Ashby und dem dramatischen Regisseur John Cassavetes gewidmet, diesen ungleichen Brüdern des New Hollywood. Der Polizist und der Tunichtgut; der eine ständig in trouble, und der andere ständig in Sorge um die Familie.
Das Setting von Indian Runner ist trist: eine Siedlung an einer breiten Autostraße. Jenseits der Siedlung gibt es öde Felder, Motels, Gefängniszellen und beängstigende Ferne. Die Siedlung ist eine kleine Welt, mit einem verschlissenen Stahlwerk, einer zugigen Polizeistation, einer trüben Badeanstalt. Und einer Bar mit langem Tresen und flackerndem Schwarzweiß-TV. Das Zentrum der kleinen Welt ist die Familie, das Zuhause oder die Bar. Aber den Vater von Joe und Frank spielt Charles Bronson, und Dennis Hopper spielt den Barkeeper: Das kann nicht gut gehen. Bronson erschießt sich mit seinem Jagdgewehr, und Hopper liegt am Ende als gefallener Engel des Bösen erschlagen hinter seinem Tresen. Die kleine Welt ist nicht heil.
Und sie ist es nie — für Penn. Das ist zu sehen an den Gesichtern der Figuren, an der Linie der Enttäuschung in den Zügen von Joe und an der wilden Unruhe in Franks dunklen Augen. Und sie kann heil nicht sein, die kleine und die große Welt, das ist ganz nebenbei zu sehen. Beim Umgraben im Garten kommen da ein paar Pfeilspitzen zum Vorschein: Die amerikanische Nation ist auf den Leichen der Indianer errichtet worden.
Und so ist der Beginn des Films wohl vor allem eine Hommage an die Indianer, an Morrisons „dead indians, scattered all over the highway“. Michael Esser
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