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Aus der Reihe tanzen, dienen

■ Gidon Kremer, einer der weltbesten Geiger, im taz-Gespräch / Über Mozart, Harnoncourt und Athentizisten

„Der Neugierige“, der „Infragesteller“: für diese Attribute scheint der berühmte Geiger Gidon Kremer die weltweiten Exklusivrechte zu haben. Gestern verriet der 44jährige Lette mit dem sowjetischen und deutschen Paß der taz, was z.B. seine musikalische Neugierde erweckt.

taz: Herr Kremer, Sie gelten als ein Interpret abseits eingefahrener Bahnen. Eigentlich hätte man doch gerade in diesem Jahr ein anderes Konzertprogramm von Ihnen erwartet als alle Mozart-Violinkonzerte an zwei Abenden.

Gidon Kremer: Ich glaube, daß dieses „Aus der Rolle tanzen“ sehr stark übertrieben wird. Es ist vielleicht nur ein Beweis dafür, wie sehr man gewohnt ist, sich mit dem Gewöhnlichen zu arrangieren. Und das Gewöhnliche ist sehr oft ein Beweis, daß ein Künstler sich nicht richtig traut, zu seinen Ideen zu stehen oder überhaupt eigene Ideen zu entwickeln. Mozart im Mozartjahr war für mich nichts Konventionelles. Es ist gleichzeitig ein Tribut an den Komponisten und an eine Persönlichkeit, die für jeden musikliebenden Menschen von Bedeutung ist. Und warum sollte man nicht einen Geburtstag feiern? Man kann Akzente setzen, die im Gegensatz zu dem stehen, was das übliche Mozartbild prägt. Ein Mozartbild, das etwa durch den Film „Amadeus“ verbreitet wird. Ich glaube, daß es sehr wichtig ist, eine persönliche Note, die davon zeugt, was Mozart einem selbst bedeutet, in so ein Jubiläumsjahr hineinzubringen.

Der Anfang meiner neuen, ernsthaften Auseinandersetzung mit den Mozart-Violinkonzerten war die Zusammenarbeit mit den Wiener Philharmonikern und Nikolaus Harnoncourt. Die Werte, die für Harnoncourt von großer Bedeutung sind, seine Ideen und sein Wissen haben mich sehr angesprochen, und durch ihn habe ich mein Mozartbild und mein Mozartspiel korrigiert. Allerdings, und damit tanze ich doch wieder etwas aus der Rolle, spiele ich in meinen Konzerten kein reines Mozartprogramm, sondern ich konfrontiere Mozart mit Musik des 20. Jahrhunderts. Nicht, daß das Publikum jetzt Ähnlichkeiten suchen sollte, aber ich möchte es einfach daran erinnern, daß die Musik viel reicher ist als die paar Melodien, die jeder pfeifen kann. Warum sollten uns die Gefühle, die ein zeitgenössischer Komponist ausdrückt, fremd sein? Sie sind so kompliziert oder einfach wie unsere Zeit.

Wir sollten nur nicht glauben, daß uns Mozart vollständig bekannt oder verständlich ist. Es gibt noch sehr vieles in seiner Musik zu entdecken. Insofern ist eine Annäherung an einen zeitgenössischen Komponisten auch eine Annäherung an Mozart. Oder andersrum, derjenige, der Mozart nicht nur oberflächlich hört, wird auch mehr Verständnis für die zeitgenössische Musik finden.

Sie sprachen von der Zusammenarbeit mit Harnoncourt. Berührt Ihr verändertes Mozartbild die Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis?

Ich habe nie Barockinstrumente gespielt, und ich zähle mich mit Sicherheit nicht zu den sogenann

Hierhin den Geiger

ten „Authentizisten“. Harnoncourt ist ein Ur-Musiker in seiner Ausstrahlung und in seinem Umgang mit Partituren. Das, was ich von ihm gelernt habe, hängt natürlich mit der historischen Aufführungspraxis zusammen. Z.B., daß man Mozart sehr viel artikulierter spielen kann und daß lebendige Musik sehr viel mit Theater zu tun hat. Schauspiel, Drama, Komödie, all das kann man in den Violinkonzerten genauso entdec

ken wie auf der Opernbühne.

Das entspricht einer Charakteristik Ihres Spiels, nämlich daß Sie nie Geige um ihrer selbst willen spielen, sondern daß Sie mit Tönen etwas erzählen.

Es sind keine konkreten Geschichten, die ich erzähle, aber in gewissem Sinne ist das richtig. Während eines Konzertes versuche ich, dem kreativen Impuls eines Komponisten nachzuspüren. Das bedeutet aber auch, daß ich jeden Abend anders denken muß. Ich bestehe nie darauf, daß meine Interpretation die endgültige Aussage über eine Partitur ist, sie ist nur endgültig für den Abend, an dem ich auf der Bühne stehe.

Wie steht es um die zeitgenössische Musik?

Ich empfinde es als meine Pflicht, nicht nur alte, bekannte Töne zu spielen, sondern auch solche, die heute erst geboren werden. Es ist eine Befriedigung für mich, wenn Werke oder Komponisten mit der Zeit zu „Klassikern“ werden wie Alfred Schnittke oder Arvo Pärt. Und es ist schön zu wissen, daß Komponisten durch die Tätigkeit des Interpreten eine Anerkennung bekommen. Wir sind Diener der Komponisten, und das sollten wir nie vergessen!

Interview: Imke Turner

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