Der neue Trend: Selber Wohnen!

■ Keine Ahnung, wie man das neue Designersofa mit den Ikea-Regalen kombiniert? / Das Büro für Veränderungen hilft ratlosen Einrichtungswilligen, die nicht gleich tausende von Mark für eine komplette...

Keine Ahnung, wie man das neue Designersofa mit den Ikea-Regalen kombiniert? Das Büro für Veränderungen hilft ratlosen Einrichtungswilligen, die nicht gleich tausende von Mark für eine komplette neue Möblierung ausgeben wollen oder können.

VON SEVERIN WEILAND

W

enn etliche Kataloge gewälzt, der mühsame Weg ins Möbelhaus eingeschlagen und schließlich für viel Geld die ausgesuchten Einrichtungsgegenstände gekauft sind, beginnt das eigentliche Drama. Was zuvor gefallen hat, ist plötzlich zu groß oder zu klein, zu dunkel oder zu grell — kurzum: Viele sind enttäuscht, daß ihre Wohnung oder ihr Büro nicht der Hochglanzabbildung im Katalog entspricht. Unzufriedenheit stellt sich ein, ja sogar Unlust, und mancher wünscht sich so schnell wie möglich die Müllabfuhr herbei, um die lästigen Stücke schleunigst aus dem Blickfeld zu bekommen.

Es ist eine altbekannte Weisheit: Das Wohlbefinden des Menschen hängt zum Gutteil von den eigenen vier Wänden ab. Gerade in Deutschland, wo — im Gegensatz zu manchen südländischen Gegenden — die Wohnung als Spiegel der eigenen Persönlichkeit gilt. — Ja, es ist ein schwieriges und mühseliges Unterfangen, seine Räume so einzurichten, daß die allabendliche Flucht zur heimeligen Eckpinte nicht zur Alternative wird.

Daß es auch ohne solche Radikalkuren geht, bewiesen jüngst vier Berliner DesignstudentInnen. Im Rahmen eines „Service-Projektes“ am Fachbereich3 der Hochschule der Künste (HdK) gründeten sie im Sommer dieses Jahres eine Arbeitsgruppe, die sich zum Ziel setzte, „individuelle Wohnungsberatungen“ durchzuführen. Dabei ging es dem Team — drei Frauen und ein Mann — nicht darum, in die Fußstapfen derjenigen Designer zu treten, die Wohnungen oder Büros von Grund auf mit allem Drum und Dran einrichten. Vielmehr setzten sie darauf, mit den vorhandenen Möbeln und Einrichtungsgegenständen Mißstände zu beheben. Motto: „Nicht die Sachen an sich, sondern die Organisation der Dinge ist entscheidend.“

Mit ihrem Konzept erkannten sie eine bisher ungeahnte Marktlücke. Die Zahl der unzufriedenen Zeitgenossen, denen zu Hause oder im Büro sprichwörtlich „die Decke auf den Kopf fällt“, scheint hoch zu sein, denn schon nach kurzer Anlaufzeit konnten sie sich vor Aufträgen nicht mehr retten. Insgesamt, so Gruppenmitglied Benedikt Esch (26), hätten sie in den drei Monaten zwischen 50 und 60 Beratungen durchgeführt. Unter den Ratsuchenden waren alle sozialen Schichten: von der Bafög-Studentin über den gutbetuchten Steuerberater bis zur Sozialhilfeempfängerin im Rentenalter. Eine genaue Analyse der bei den Visiten mitgegebenen Fragebögen steht noch aus, doch eins kann er schon heute sagen: „Die Resonanz auf unsere Aktion war, bis auf wenige Ausnahmen, sehr positiv.“

Bei ihrer Arbeit stießen die StudentInnen immer wieder auf ein generelles Problem, das den deutschen Wohnungseremiten plagt: Überfüllung. Aussortieren und Reduzieren — diese banale Feststellung reichte häufig schon, um das Wohlbefinden der Betroffenen zu steigern. Oder andere kleine Veränderungen, wie etwa ein helles Tuch, das einem vormals schwerfälligen Sofa zu ungeahnter Leichtigkeit verhalf. Daß viele Ratsuchende nicht von sich aus auf die einfachsten Verbesserungsmöglichkeiten kamen, lag häufig nicht an deren mangelnder Phantasie, sondern an der Gewöhnung, wie Esch glaubt: „Nach einiger Zeit registriert man seine eigene Wohnung nicht mehr.“

So suchten viele beim Büro für Veränderungen lediglich noch einmal Bestätigung für die Ahnungen, die sie seit langem beschlichen hatten. Ungewollt schlüpften die StudentInnen dadurch in die Rolle von Fachleuten — Indiz dafür, wie weit die Verunsicherung in Teilen der Gesellschaft reicht, die „richtige“ Einrichtung zu haben.

Dabei ging es der Gruppe niemals darum, den eigenen Geschmack durchzusetzen. Entscheidend war für Esch, „daß die Menschen schon in der Entstehungsphase mit einbezogen werden, um eine Beziehung zu den Räumen, in denen sie leben oder arbeiten, zu entwickeln“. Wer beispielsweise seine Wohnung als Höhle begreife, würde sich plötzlich nicht in einem hellen und kargen Ambiente wohlfühlen. Es gehörte viel Einfühlungsvermögen dazu, sich auf die unterschiedlichen Personen und ihre Vorlieben einzustellen, wobei die Auswahl der Farbe bei weitem schwieriger war als der Vorschlag, es einmal mit dem Verrücken der Möbel zu versuchen.

Der Gang in fremde Wohnungen brachte nebenbei auch zahlreiche soziologische und psychologische Erkenntnisse über die Zustände in deutschen Wohnstuben. So stellten die StudentInnen fest, daß das Herstellen der „Gemütlichkeit“ (übrigens ein einmaliges, zutiefst deutsches Wort) heute nach wie vor der Frau überlassen bleibt. Überraschend viele Ratsuchende hatten sich zudem gerade von ihren Partnern getrennt und wollten nun ihre Wohnung neu einrichten. Nicht selten waren die StudentInnen einfach nur Gesprächspartner für Vereinsamte oder Ehepaare, deren Unzufriedenheit weniger in der Zusammenstellung der Wohnung als vielmehr im verhaßten Partner wurzelte — die angehenden Designer wurden so Ersatzpsychologen.

Neben Privatleuten wandten sich auch viele Büros an die Studentengruppe. Hier ging es meistens um komplette Neueinrichtungen. Vor der Anschaffung neuer Möbel maßen die StudentInnen die Räume aus und erstellten am Computer dreidimensionale Graphiken, um einen ersten räumlichen Eindruck des neuen Arbeitsplatzes zu vermitteln. Nach Wunsch betätigten sie sich auch als Rechercheure von Möbeln und halfen so, für den gestreßten Juristen oder Berater in der Flut von Katalogen das passende Stück zu finden. Wer sich die zeit- und nervenaufreibende Angelegenheit gleich ersparen wollte, dem präsentierten die StudentInnen auch Entwürfe für individuell an die Räumlichkeiten angepaßte Möbel und besorgten anschließend den Schreiner.

Das Projekt, vor kurzem beendet, bedeutet keineswegs das Aus für das Büro für Veränderungen. Weil die Idee sich als wahrer Renner entpuppte, will nun Klaus Michel (28), inzwischen fertiger Diplom-Designer, das Büro der StudentInnen zusammen mit einem Partner professionell weiterführen. Er ist davon überzeugt, daß dieser ungewöhnlichen Form der Beratung eine Zukunft beschieden sein wird. Schon allein wegen der zunehmenden Wohnungsnot, die dazu führen werde, daß sich die Menschen mit weniger Quadratmetern als bisher zufriedengeben müßten. Und das verlange schließlich eine „bessere Strukturierung der Räume“. Schon allein, um Reibungen mit seinem Partner oder Mitbewohnern zu verringern.

Informationen: Büro für

Veränderungen, Klaus Michel,

Tel. 030-6923922.