Ressortaufgaben der Kunst

Über den Wettbewerb „Zeit-Rausch“ zur Magnetschwebebahn, gemeinsam ausgetragen vom Bundesforschungsministerium und dem Bonner Kunstverein  ■ Von Jochen Becker

Die Magnetschwebebahn „Transrapid“ ist neben den Raumgleitern „Hermes“ und „Sänger“ eines der Lieblingssteckenpferde des Bundesforschungsministers Riesenhuber. Zumindest bis zum Fall der Mauer war geplant, daß der 400 Stundenkilometer schnelle Zug quasi als S-Bahn zwischen Essen, dem Düsseldorfer und dem Köln-Bonner Fughafen hin- und herpendelt. Diese „Anwendungsstrecke“ — das Exportgeschäft benötigt solche Praxistests — wäre zur Verbesserung der Verkehrslage allerdings kaum sinnvoller als die knapp 32 Kilometer lange Testschleife im Emsland. Mit dem Tag der deutschen Einheit sind wieder größere Sprünge möglich: So soll Hamburg mit der Olympiastadt Berlin und Dresden verbunden werden; aber auch die Strecke Bonn-Berlin ist als Trostpflaster fürs Rheinland im Gespräch.

Da offensichtlich die Realisation des „Transrapid“ wieder in greifbare Nähe rückt, andererseits die generelle Akzeptanz solcher Projekte schwindet, muß die Grundstimmung verbessert werden. Deshalb bitten die Volksvertreter mehrere Künstler, in ihrer Funktion des exemplarisch sensiblen Bürgers mit Verbesserungsvorschlägen zur Gestaltung der Gleisstrecke und der Bahnhöfe beizutragen. Das Ergebnis ist noch bis zum 24.November im Vorraum des Bonner Kunstvereins zu besichtigen.

„Künstler sollen helfen, Ressortaufgaben anzunehmen.“ So beschreibt Hermann Josef Hack, künstlerischer Berater beim Bundesministerium für Forschung und Technologie, das „Pilotprojekt“ Künstlerwettbewerb zur Magnetschwebebahn. Sein Ministerium hegt dabei nicht nur die verwegene Hoffnung, eine „Entfremdung zwischen Kultur und Technik gar nicht erst entstehen zu lassen“ (Riesenhuber). Die Konzeptionen der Künstler hätten zudem „missionarische Wirkung nach innen hinein“ (Hack), also auf den ministerialen Planungs- und Verwaltungsapparat, um dort Verkrustungen entgegenzuwirken. Wie soll dies allerdings praktisch funktionieren? Allein durch den eventuellen Besuch der Ausstellung oder beim Durchblättern des dünnen „Zeit-Rausch“- Katalogs wird der Planungsbeamte nicht klüger, während dem Ausstellungsbesucher durch fehlenden Kontext Zugang und Mitwirkung verwehrt bleiben: Die Präsentation und der Katalog sollen für sich sprechen; sie teilen nichts mit über die reale Planung des neuartigen Verkehrssystems.

Der Wettbewerb fördert keineswegs eine Kooperation zwischen Kultur und Technik. Vielmehr sollen die Künster wie eh und je (von wegen „Pilotprojekt“) ausbügeln, was Politik und Technik angerichtet haben. Der Forschungsminister ist zwar überzeugt, „daß die künstlerische Auseinandersetzung mit neu entstehender Technologie die kulturelle und menschliche Durchdringung von Innovationen voranbringt“. Warum aber rief man die Künstler erst, als die Technologie schon beschlossene Sache war, und nicht viel früher? Warum hat man keine Künstler-Architekten und -Landschaftsplaner zur Teilnahme ermuntert? Und warum fördert man nicht die unmittelbare Auseinandersetzung zwischen Ingenieuren, Planern und Künstlern, statt wie hier ein Kunstvermittlungsinstitut vorzuschieben? Nur ein direkter und frühzeitiger Eingriff hätte Einfluß gehabt auf die zukünftige Richtung. Alles andere ist optischer Zierrat.

Wie sehen die Kommentare und Vorschläge der geladenen Wettbewerber aus? Stefan Demary läßt eine mit Buntstiften gemalte Spielzeugeisenbahn im Kreis fahren. Bogomir Ecker greift auf seine alte Idee der Tropfsteinmaschine zurück und möchte die Skizze eines undichten Wasserhahns auf den Zugfenstern anbringen lassen. Ulrich Görlich schlägt an der Strecke eine Camera obscura vor. Stephan Huber schwebt ein DB-Verwaltungsgebäude vor, durch dessen mosaikbesetzte Fassade der „Transrapid“ hindurchrauscht. Raimund Kummer möchte den realen Zug auf seinem Schienenträger als Sockel unter Glas fassen und in die Landschaft stellen. Klaus Kumrow aquarelliert „Kopfbahnhofstudien“. Hermann Pitz schlägt Hinterglas-Siebdrucke eines Eisenbahnunglücks von 1842 vor. Christiane Post will rote Läufer aus Hartgummi an die Strecke stellen und entwickelte das Modell eines Warteraums. Norbert Rademacher preist die Monorail-Bahn, welche schon seit Jahrzehnten durch Floridas Disney-World fährt. Thomas Schütte denkt mittels Aquarellen über den Sinn des Zeitrauschs nach. Manfred Stumpf stören eigentlich nur die Betonstelzen; er schlägt als Sichtblende wildrankenden Wein vor. Und Thomas Virnich schließlich gießt die Verpackung einer Märklin-Bahn mit Ton aus.

Auch wenn dieser Schnelldurchlauf nicht jeder Arbeit gerecht werden kann, so zeichnet sich doch eines deutlich ab: Keiner möchte als Spielverderber dastehen. Der „immer wieder angestrebte Dialog zwischen der Kunst und der Wirklichkeit als entscheidende Phase kreativer Forschung“ (Pressetext) ist in Wirklichkeit höfliche Zurückhaltung. Und, was viel entscheidender ist: Kein Beitrag vermittelt den Eindruck, als habe sich jemand eingehend über den Komplex „Transrapid“ kundig gemacht. Die meisten nehmen den Wettbewerb so mit und schicken ein paar Skizzen ein; wenige bauen spezielle Modelle oder finden mehr als eine Variante ihrer üblichen Beschäftigung. Selbst als Arbeit für sich — könnte man den Wettbewerbsrahmen und die damit verbundene Spende des guten Namens für ein großtechnologisches Projekt einmal ausblenden — wirken Wasserfarbe und Spielzeugeisenbahnen gegenüber räderlosem Schweben auf einem elektromagnetischen Kissen und den damit einhergehenden investorischen, entwicklungstechnischen und sozialen Auswirkungen zu harmlos. Als collagierte Idee ist Olaf Metzels Vorschlag, einen Zug nach Robert Jungk zu benennen, zündender als die mögliche Realisierung, welche vor lauter Unscheinbarkeit keinen weiteren Effekt hätte. Bernhard Härtters Modell einer digitalen Bahnhofsuhr, die er an einen Plattenspielerarm montiert, während auf dem rotierenden Teller Menschen, eine Concorde und ein Haus vorbeirauschen, ist für sich gesehen sehr ansprechend. Und auch Albert Hien, der für die Kirmes einen „Rapid Ride“-Fahrsimulator vorschlägt, hat ein schönes Modell gebaut: zwei aufeinandergerichtete Bohrmaschinen treiben gegenläufig rotierende Hohlzylinder mit Panoramalandschaft an, während der Gast im städtischen Zug dazwischen Platz nimmt. Die Bohrer mit Lochsägeaufsatz erinnern gleichzeitig an die riesigen Fräsen, welche bei den Tunnelarbeiten für die ICE-Strecke zum Einsatz kamen.

„Auflehnung auf subtile Weise“, „lakonisch heitere Begeisterung“ und „ironische Distanz“: So bezeichnet Annelie Pohlen, die als Leiterin des Bonner Kunstvereins zusammen mit dem Ministerium und Kaspar König den Wettbewerb organisiert, die insgesamt „nicht destruktive“ Haltung der Künstler zur Magnetschwebebahn. Außerdem betont sie, wie zurückhaltend sich das Ministerium beim Wettbewerb gezeigt hat.

Auch die von Pohlen attestierte vornehme Zurückhaltung des Geldgebers — immerhin spendiert das BMFT aus dem Topf mit dem Titel „Nutzung des künstlerischen Sachverstandes für Ressortaufgaben“ 80.000 Mark für Katalog, Plakat, Management, Künstlerhonorare und die Installation der Ausstellung — ist so erstaunlich nicht: Bei deutlicherer Einmischung wäre dem Ministerium der Zugang zum guten Namen der Künstler, der Juroren und des Ausstellungsinstituts sicher versperrt geblieben.

Den Gewinnern des Wettbewerbs winken von am „Transrapid“ beteiligten Firmen wie Siemens und Thyssen bereitgestellte Preisgelder und die Realisierung der Konzeption. Über die Vergabe entscheidet eine Jury.