: Die Hüterin des Raumes
■ Riki von Falken: »Der viereckige Stier« — ein Solotanzabend in der Akademie der Künste
»Wie wir hat die Bewegung den Raum nötig, aber was / ist der Raum? Die Bewegung allein enthüllt ihn uns, / ohne die Bewegung ist er nur ein leeres Wort, ohne / Sinn.«
Aus der Rede eines Mechanikprofessors in Balzacs »Das Chagrinleder«
Die Enthüllung des Raums könnte man das Thema von Riki von Falkens Solotanzabend »Der viereckige Stier« in der Akademie der Künste nennen. In ihrer konsequenten Beziehung auf den Ort ist ihr Tanz viel eher konzeptionellen Ansätzen der bildenden Kunst verwandt als dem Tanztheater. Schon bei ihrem letzten Soloabend im Kammermusiksaal trat sie in einen Dialog mit der Architektur und ließ deren Leere als bewußte Weite spüren. Auch die Bühne der Akademie der Künste öffnet sie über das kleine Parkett hinweg in die Tiefe, die zum Resonanzraum ihrer Schwingungen wird. Wenige Requisiten und wechselndes Licht gliedern den Raum in Zonen, denen die einzelnen Bewegungssequenzen Leben verleihen.
Vor dem Hintergrund des Alltags der Städte erhält diese meditative Kommunikation mit dem Raum, wiederkehrendes Thema des modernen Tanzes seit dem Beginn unseres Jahrhunderts, eine neue Aktualität. In der urbanen Nahkampfpraxis wird das Verhältnis des Menschen zum Raum, fast Metapher des politischen Klimas, oft auf mühsames Platzschaffen, auf aggressive Raumnahme, Verdrängung und Besetzung reduziert. Selbst noch in der Freizeit treten wir Städter motorisiert, mit dem Fahrrad oder entschlossenen Schrittes zur Vernichtung von Kilometern an. Nichts von diesem expansiven Drängen, dieser mechanisierten und verkümmerten menschlichen Bewegung ist in der Choreographie von Riki von Falken zu spüren. Ihr Tanz entspinnt die Utopie einer harmonischen Kommunikation mit der sich verknappenden Ressource Raum. Ihre Bewegungen überziehen ihn nicht bloß mit einem Netz von Wegen und ornamentalen Linien. Ihr Körper ist vielmehr selbst Volumen und Teil des Raumes. Die Kraft ihres Tanzes reflektiert seine Dimensionen.
Mit Schultern und Brustkorb, die oft noch parallel zum Publikum bleiben, während Hüfte und Beine schon wegdrehen, betont sie die Öffnung des Körpers. Mit einfachen und weiten Armgesten bezeichnet sie Richtungen und ertastet die Schwingungen der Raumgrenzen. Mit breiten und tiefen Schritten nutzt sie den Kontakt des Bodens, um in die Höhe zu arbeiten. Ihre Bewegungsmotive sind reduziert und dennoch präzise Instrumente. In ihren kurzen Tanzsequenzen löst sie skulpturale Elemente auf. Mit rechtwinklig ausgebreiteten Armen pendelt die drehend zwischen zwei Polen, dynamisierte Version griechischer Idole. Gebückt und mit kleinen Schritten durchquert sie einmal in langer Mäanderbewegung die Bühne, als wäre sie zu der siebenjährigen Wanderung des Märchenhelden angetreten. Durch die starke Betonung der Körperachse erinnern ihre bewegten Figuren an die schematisierten Menschenbilder in der Plastik außereuropäischer Kulturen, aus denen der moderne Tanz immer wieder seine Impulse bezog.
Auch in der musikalischen Kulisse schwingen fremde Landschaften und Zeiten mit. Afrikanische, mongolische und asiatische Gesänge zitieren alte Formen von Musik und Tanz. Ein Rindenstück, das wie eine Tierhaut auf der Bühne hängt, und einige Schalen verstärken die Anklänge an Kult und Ritual. Aber »Der viereckige Stier« ist frei von Mystik und geliehener Bedeutung, von falscher Authentizitätssucht und modischer Nachahmung des Fremden. Katrin Bettina Müller
Riki von Falken: Der viereckige Stier , Akademie der Künste (West), 26., 28., 29. November, jeweils um 20 Uhr.
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