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Gebaute Analysen aus Holz, Glas und Metall

■ Ocular New York — neue Ansätze im Architekturentwurf von der Columbia University

Es gibt Architektur, die ist zu einer Zeit umjubelt, bald geschmäht, die kann hier stehen so gut wie da. Es gibt aber auch Architektur, die so viel Selbstverständlichkeit hat, daß niemand Sinn und Sein bezweifeln würde, die so mit dem Ort verbunden ist, daß das eine ohne das andere unvollständig wäre. Wer wollte sich Wien ohne den Semperplatz zwischen natur- und kunsthistorischem Museum vorstellen, wer Florenz ohne die Piazza dei Signora. Wer würde die Existenzberechtigung des Shell-Hauses (der Bewag am Reichpietschufer) in Berlin in Frage stellen? Was hat diese selbstverständliche Architektur an sich, was andere Archtitektur nicht hat?

Der New Yorker Architekturtheoretiker Hani Rashid hat sich in New York drei solcher „selbstverständlicher“ Plätze ausgesucht: die United Nations Plaza, das World Trade Center und das Pan Am Building. Seine Klasse an der Columbia University sollte sich mit dem Charakter der einzelnen Orte auseinandersetzen und ihre Ergebnisse systematisieren. Über diese gebauten Analysen, die bis zum 2. Dezember in der Berliner Architekturgalerie Aedes, danach in der Hochschule für Bildende Künste, der Städelschule in Frankfurt ausgestellt sind, sagt Hani Rashid: „Sie sind weder utopische Modelle noch dystopische Visionen, sondern vielmehr spekulative Welten, die in der Wirklichkeit begründet sind, willkürlich entwickelt, beherrscht von dem sich ständig verändernden Raum, der die Polis antreibt.“

Die drei Arbeiten, abstrakte Skulpturen, Gestänge aus Metall mit Holz verschraubt, verlötet, verbunden durch Glas, erscheinen dem Betrachter zunächst als fremde kleine Welten. Man kommt nicht einmal auf die Idee, daß es sich um Rekonstruktionen wirklicher Orte handelt.

Zur Vorgehensweise: Die Gruppe zum Beispiel, die sich mit dem United Nations Building beschäftigt hat, suchte erst einmal nach den für jeden einzelnen ortstypischen Elementen: Die Bücherei, das Sekretariatsgebäude, der Platz vor dem Sekretariatsgebäude, auf dem die Protestwachen abgehalten werden, das Konferenzgebäude, davor die bunten Fahnen aller Nationen, wie auch die Tiefgarage. In einem Metallrahmen, der im Grundriß die Größe des Baugrundes wiedergibt, sind die eben aufgezählten Elemente integriert. Stellvertretend für das Konferenzgebäude stehen beispielsweise drei Kommunikationsapparate. Die Bibliothek ist als Zwinge dargestellt, in der ein dickes Bündel aus Zeitungspapier zusammengepreßt wird. Die Fahnen werden durch eine Reihe parallel geschichteter Glasscheiben, wie sie in der Medizin verwendet werden, symbolisiert, schmale Streifen mit bunten Linien darauf. Die Konstruktion könnte so, aber auch ganz anders aussehen, abhängig von denen, die daran mitarbeiten. Was dort zusammengeschraubt, gelötet, gesteckt und geklebt wird, ist eine Art „Gedankengebäude“, Modelle nicht im klassischen Sinn, sondern metaphorische Produkte theoretischer Empirie.

Analysieren die Arbeiten von „Ocular New York“ vorhandene Gebäude und Plätze und überprüfen damit, woher sie ihre Selbstverständlichkeit beziehen, enthält eine solche Analyse natürlich auch eine pädagogische und konstruktive Absicht. Schließlich geht es darum, das Schlimmste zu verhindern: dort, wo noch nichts steht oder massive Eingriffe zu erwarten sind. Die Beschäftigung mit dem Ort, den es zu bebauen gilt, kommt in der Architektenausbildung viel zu kurz. Rashids Idee ist nicht, — über angeblich „freie Plätze“ — brachiale Phantasien zu stimulieren, sondern in der Auseinandersetzung mit dem Gegebenen die Struktur des Bauens, die Eigenmacht von Planungen zu begreifen. Nicht umsonst werden die Arbeiten Hani Rashids und seiner Schüler jetzt in Berlin gezeigt. Ein Wink mit dem Hochhaus. Lilli Thurn und Taxis

Aedes-Galerie Berlin bis 30. November, ab 2. Dezember in der Hochschule für Bildende Künste, Städelschule in Frankfurt.

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