: Kein Vetter von Maxim
■ Die Kunsthalle zeigt Arbeiten auf Papier von Arshile Gorky: absurde Tüfteleien, Räderwerke ohne Räder
hierhin bitte das
abstrakte Gemälde
Arshile Gorky: Ohne Titel (1935), Tusche auf PapierAbb.: Katalog
Im Jahr 1920 floh ein Fünfzehnjähriger vor Massakern der Türken aus seiner Heimat Armenien. „Der armenische Flüchtling Vosdanig Adoian wurde ein amerikanischer Künstler mit dem Namen Arshile Gorky“. So beschreibt Gorkys Biograph Hans Rosenberg die Herkunft eines Wegbereiters der amerikanischen Moderne. Nur um Journalisten zu foppen, flunkerte Gorky gelegentlich, er sei der Vetter des russischen Schriftstellers Maxim G.
Im neu renovierten großen Saal des Kupferstichkabinetts zeigt jetzt die Kunsthalle Arbeiten auf Papier von Arshile Gorky: Feder-, Ölkreide- und Bleistiftzeichnungen des amerikanischen Malers und Grafikers.
In Boston beginnt Gorky Kunst zu studieren, in New York begeg
net er in verschiedenen Ausstellungen der modernen europäischen Kunst und — unter anderen — den Werken von Arp, Braque, de Chirico, Kandinsky, Miro und Picasso. Die Einflüsse seiner Vorbilder versuchte er keineswegs zu vertuschen, ganz im Gegenteil wies er Betrachter noch darauf hin, bei wem er ein bildnerisches Zitat entlehnt hatte, berichten Anekdoten. In den 40er Jahren begann er sich stärker auf seine künstlerische Eigenständigkeit zu besinnen und brachte subjektive Erinnerungen und Phantasiewelten zu Papier.
Die Zeichnungen, teils Studien, und die meisten mit dem anregenden Titel „Ohne Titel“, lassen die Anklänge an Gorkys künstlerische Vorbilder erkennen. Eine „Ohne Titel“-Zeichnung aus dem Jahr 1944, eine an ein surreales Stilleben erinnernde Konstruktion aus Bleistiftstrichen, ist mit Wachskreidenflächen in drei Grundfarben kontrapunktiert. Das Spiel zwischen grazilem Strich und farbigen, verwischten Kreidetupfen zitiert Joan Miro, aber Gorky spielt anders als Miro mit den Farben Rot- Gelb-Grün.
Gorkys surreal wirkende Stilleben, die alle nicht so heißen,
„Seine Originalität ist es, wie die Renaissancekünstler sich unaufhörlich die Elemente anderer anzueignen, um so die eigenen zu enträtseln“
sind in der Ausstellung in vielen Variationen zu sehen. Neben filigranen Zeichnungen nähert er sich demselben Motiv mit hartem Druck der Bleistiftmine, wie gepflügt scheint das Papier, so tief drücken sich die Spuren der Schraffuren in die Bilder. Die Beharrlichkeit, mit der er sich einzelnen Themen höchst unterschiedlich näherte, zeigen auch die ausgestellten Studien zum Thema „Organisation“: Gezeichnete Konstrukte aus Speichen, Ösen, Bögen und Naben setzen
Abb. rechts:
Arshile Gorky, Ohne Titel;
Bleistift und Fettkreide
auf Papier (undatiert)
sich zusammen wie ein Räderwerk ohne Räder, wie eine absurde Tüftelei oder wie die Verzerrung einer Exaktheit.
Arshile Gorky — ein Surrealist oder ein abstrakter Expressionist? Oder keins von beidem? Darüber haben sich die Kunsttheoretiker noch ein Weilchen zu streiten. Matthew Spender ordnet Gorky in dem zur Ausstellung erschienenen Katalog als ersten Heros der Postmoderne ein: „Wie die Renaissancekünstler, die sich verpflichtet fühlten, Gemälde der antiken Welt nachzuschaffen, empfand es Gorky nicht als Verlust seiner persönlichen Identität, sich unaufhörlich die Elemente anderer anzueignen, um so seine eigenen zu enträtseln. Seine Originalität ist merkwürdigerweise in seiner Fähigkeit aufzunehmen, nachzuschaffen begründet“.
1948 bricht sich Arshile Gorky bei einem Autounfall den Hals, sein rechter Arm bleibt gelähmt, kurze Zeit später nimmt er sich in seinem Atelier das Leben. Juan
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