: Die Folter diktiert die Sprache der Macht
■ Seit dem Ende des Golfkriegs geben sich westliche Firmenvertreter in Teheran wieder die Klinke in die Hand. Und die UNO-Vollversammlung wird sich in ihrer jetzigen Sitzungsperiode nicht zu einer..
Die Folter diktiert die Sprache der Macht Seit dem Ende des Golfkriegs geben sich westliche Firmenvertreter in Teheran wieder die Klinke in die Hand. Und die UNO-Vollversammlung wird sich in ihrer jetzigen Sitzungsperiode nicht zu einer Verurteilung des Iran wegen Menschenrechtsverletzungen durchringen. Folter als Instrument zur Unterdrückung und Vernichtung der Opposition ist im Iran allgegenwärtig — davon berichteten Betroffene in Berlin.
VON BEATE SEEL
Als das Berliner Bildungswerk für Demokratie und Umweltschutz kürzlich zu einer nichtöffentlichen Veranstaltung über Folter im Iran einlud, fehlte eine angekündigte Referentin: die 37jährige Elham, eine der Betroffenen, die über die Zustände in den iranischen Gefängnissen berichten sollte. Sie war während ihrer Schwangerschaft festgenommen worden; neun Monate nach der Geburt wurde ihr Kind der Familie des Vaters übergeben. Als das Kind zwei Jahre alt war, weigerte es sich, seine Mutter im Gefängnis zu besuchen; der Ort machte ihm angst. Nach acht Jahren wurde Elham entlassen. Sie lebt heute mit ihrem Mann in Schweden. Für ihr Kind war sie eine Fremde. Gegenüber einer iranischen Bekannten sagte Elham, alles habe sie überstehen können, die Haft, die Folter, aber sie könne es nicht ertragen, daß ihr Kind sie jetzt ablehnt. Elham, die heute gebückt geht wie eine alte Frau, ist nun in psychiatrischer Behandlung. Der Arzt riet ihr, ihre Familie auch nicht für einen Tag zu verlassen. Ein Fall von vielen.
Gekommen waren dafür Raha, Parvin und Hossein — ihre wirklichen Namen wurden aus Gründen der Sicherheit nicht genannt. Wer heute beispielsweise Raha vor sich sieht, eine trotz ihrer 36 Jahre fast mädchenhaft wirkende Frau, kann nicht nachvollziehen, was sie alles hinter sich hat. Es überschreitet jede Vorstellungskraft, daß es Menschen gibt, die sich an dieser Frau mit dem offenen Gesicht, dem freimütigen Blick und dem kleinen Lächeln vergreifen konnten, ihr Gewalt antun konnten. Bei solchen Veranstaltungen gibt es den Moment, da möchte man nichts mehr hören, keine weiteren persönlichen Schicksale mehr, keine weiteren Details. Es war eine Veranstaltung, die für viele der anwesenden Iranerinnen und Iraner auch ihre eigene Geschichte wieder aufwühlte — als ehemalige politische Gefangene, als Angehörige von Hingerichteten. Alle Berichte zeigten übereinstimmend, in welchem Maße die Folter Teil des staatlichen Instrumentariums zur Unterdrückung und Vernichtung der Opposition im Iran ist. In der Peitsche des Folterknechts konzentrieren sich die Macht und die Verantwortung des Staates. Es ist ein System, das auch seine eigene Sprache entwickelt. Da werden die Begriffe wie „Ruheraum“ oder „Lehranstalt“ zu Synonymen für Folterkammern, da werden Gefangene gezwungen, ihre Peiniger mit „Bruder“ und „Schwester“ anzureden. Da gibt es „Krankenstationen“, in denen man Menschen sehen kann, deren Füße nur noch aus blutigen Klumpen bestehen, die einzig und allein dazu dienen, die Opfer am Leben zu halten, damit sie weiter gefoltert werden können. Da gibt es Gefangene, die sich aus ganzem Herzen freuen, wenn sie wegen eines „Verstoßes“ in die „Untersuchungshaft“ mit ihren Schlägen und Auspeitschungen zurückverlegt werden, weil sie damit den späteren, perfideren Foltermethoden entgehen (siehe Bericht unten). Denn die Folter im Iran beschränkt sich mitnichten auf die erste Zeit nach der Festnahme, um Geständnisse zu erpressen.
Ein solches System ersinnt seine eigenen Methoden, wenn es darum geht, der Weltöffentlichkeit etwas vorzugaukeln. Parvin, eine der Betroffenen, erlebte im Evin-Gefängnis zwei Besuche des UN-Sonderbeauftragten Gulindo Pohl mit. Sie berichtet, wie Gefangene, die nicht bereit waren, die Islamische Republik zu akzeptieren, in Zellen versteckt wurden, die keinen sichtbaren Zugang von außen hatten, und Pohl lediglich „reuige“ Häftlinge vorgeführt wurden. Mehr noch: Pohl, der beim zweiten Besuch mit einer Namensliste von politischen Gefangenen kam, seien Personen vorgeführt worden, die in Wirklichkeit ganz anders heißen.
Raha, Parvin und Hossein sind zwar heute frei. Aber viele ihrer Leidensgenossen haben das Gefängnis Evin nicht überlebt. Einige wurden verrückt, andere begingen Selbstmord, sehr viele wurden hingerichtet. Hossein selbst entging der Hinrichtungswelle im August 1988 nur um Haaresbreite. In einem „Gerichtsverfahren“, das ungefähr zwei Minuten dauerte, entgegnete er auf die Frage, ob er ein Abtrünniger des Islam sei, er wäre in einer atheistischen Familie aufgewachsen, die aus der Sowjetunion eingewandert sei. Ein Argument, das akzeptiert wurde. Doch zahlreiche seiner Mitgefangenen, Anhänger linker Organisationen oder der islamischen Volksmudschaheddin, überlebten die Massenhinrichtungen dieser Zeit nicht. Iran hatte ungeachtet der jahrelangen Propaganda gerade die UN-Waffenstillstandsresolution im Krieg mit dem Irak akzeptiert, Khomeini „den Giftbecher ausgetrunken“. Und um das nach innen zu „legitimieren“, verschärfte das Regime die Repression: Jedweder Protest sollte im Keim erstickt werden. Das Regime selbst setzte Gerüchte über Massenhinrichtungen im Gefängnis in Umlauf. „Jedesmal, wenn die Islamische Republik sich bedroht fühlt, schreckt das Regime nicht vor den größten und schlimmsten Verbrechen zurück“, folgert Hossein heute.
Viele Leidensgenossen sitzen auch heute noch im Gefängnis. Für sie ist die Nacht des Schreckens noch nicht zu Ende, auch wenn immer mehr Staaten, allen voran die Bundesrepublik, ihre Beziehungen zu dem Iran des „gemäßigten“ Präsidenten Rafsandschani nach und nach normalisieren. Die Menschenrechte werden auf dem Altar der Geschäfte geopfert, tagtäglich. Plötzlich und aus durchsichtigem Interesse werden ein besonderes „iranisches Selbstverständnis und historisch gewachsene Verhaltensweisen“ entdeckt, so in einem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 1.1.91, die dazu führen, daß man den Iran „wohl auch nicht als Rechtsstaat im westlichen Sinne“ verstehen kann. Eine sehr vorsichtige Schlußfolgerung. Vermutlich wissen auch die Autoren des Berichts nur zu genau, daß die Schreie in den Kerkern noch nicht verstummt sind. Sie wollen sie nur nicht mehr hören.
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