Keine Gewalt? Das glaub' ich Ihnen nicht

■ Ein CDU-Studiendirektor bemüht sich bei CDU-Jugendlichen um mehr Verständnis für ausländische Schüler/ Ein hoher Ausländeranteil führe zu mehr Toleranz/ Doch kaum einer will dem Lehrer glauben/ Mit dem Messer in die Schule

Charlottenburg. »Sie müssen ja viel berichten können«, wird Helmut Eichmann im Laden der CDU-nahen Berliner Schüler Union begrüßt. Denn der Studiendirektor unterrichtet an der Poelchau-Oberschule, einer Gesamtschule, an der jeder zweite Schüler Eltern ausländischer Herkunft hat. Doch Eichmann, ebenfalls CDU-Mitglied, muß die 17 Mitglieder der CDU-Nachwuchsorganisation »Junge Union«, die einzigen Gäste an diesem Abend in der Behaimstraße, enttäuschen: »Nein.« — »Aber sie haben doch viele Ausländer an der Schule«, kontert eine Schülerin voller Vorurteile. »Vielleicht habe ich gerade deshalb so wenig über gewalttätige Auseinandersetzungen zu berichten«, versucht der Pädagoge das Teeny-Bild zurechtzurücken. Die Schüler-Union hat am vergangenen Dienstag zum Thema »Bandenterror und Horrormeldungen aus Schulen« geladen.

An seiner Gesamtschule gebe es natürlich Rangeleien, wie an jeder anderen Schule auch, gibt Eichmann zu, doch Banden- oder Fraktionsbildung bleibe aus. Eichmann glaubt, daß dies zum einen daran liege, daß die Poelchau-Schule auch nachmittags Unterricht oder Arbeitsgemeinschaften anbiete und die Oberschule mit 450 Schülern keine Riesenschule sei. Die Schüler hätten zusammen mit dem jungen Lehrerkollegium mittels Projekttagen sowie Gesprächen mit Streetworkern, der Polizei, der Familienfürsorge und dem Jugendamt eine besondere Aufmerksamkeit für die Ursachen von Gewalt entwickelt.

Lehrer müßten zwar Grenzen aufzeigen, aber wenn sich Schüler rangelten, weil der eine dem anderen die Freundin ausgespannt habe, dürften sie nur schlichten, sagt Eichmann. Strafen setze eine Gewaltspirale in Gang. Eine Schülerin widerspricht dem Podiumsgast. Sie habe nie viel darauf gegeben, was die Lehrer sagen — wenn sie wußte, daß sie nicht bestraft würde. »Wird dadurch die Hemmschwelle zur Gewalt nicht erst herabgesetzt?« Ihr 15jähriger Bruder gehe nur noch mit Messer in die Schule.

Daß auch ein Teil der Poelchau- Schüler Waffen hat, will Eichmann nicht bestreiten. Das Wesentliche sei aber, daß er an seiner Schule erfahren würde, wenn Schüler mit Waffen bedroht würden: »Dann kann ich handeln.« Ihm sei aber nicht bekannt, daß an seiner Schule jemals Schüler mit dem Messer bedroht wurden.

Ein ehemaliger Schüler erinnert sich, daß früher vor der Schule häufig ein Polizeiwagen gestanden habe, um »Streifzüge durch Supermärkte« zu verhindern. »Aha!« raunt das Publikum und fühlt sich in der Meinung bestätigt, daß das Zusammenleben mit Berliner Schülern ausländischer Herkunft nicht so einfach sein könne, wie Eichmann es beteuert.

Aber das Kollegium habe von diesen Streifzügen erfahren, konnte reagieren, antwortet der Studiendirektor. Heute würden die zwei nahegelegenen Supermärkte nicht mehr zum Beklauen aufgesucht.

Um aber zu klären, woher Gewalt komme, müßten die Schüler Vertrauen in die Lehrer entwickeln. Wenn Pauker bestraften, entstehe jedoch kein Vertrauen, ist Eichmanns Erfahrung. Inzwischen würden in seiner Schule keine Spiegel mehr zerschmettert, keine Waschbecken mehr von der Wand gerissen, berichtet der Lehrer. »Das müßte Ihnen doch zu denken geben, daß eine Schule funktioniert, die ganz viele Ausländer hat«, appelliert der CDU- Lehrer an die Vernunft der CDU-Jugendlichen.

Doch manche wollen offenbar nicht denken. Ein 23jähriger ärgert sich darüber, daß bei dem Projekttag am 9. November in der Poelchau- Schule wieder nur an die Judenverfolgung und Reichspogromnacht von 1938 erinnert worden sei, an Negatives, nicht aber an den Fall der Mauer: »Bloß kein positives Geschichtsverständnis«, moniert der Jung-Unionler gegenüber dem Pädagogen.

Daß die Wiedervereinigung auch seine Schattenseiten hat, weil die Stimmung gegen Ausländer vor allem nach dem Fall der Mauer feindlich wurde, scheint dem CDU-Nachwüchsler entgangen zu sein. »Dieses Thema ist drittrangig«, bestätigt er und verdeutlicht damit seine eingeschränkte Wahrnehmung: Was nicht ins eigene Weltbild paßt, wird hinten angestellt. Eine Schülerin sagt es am Ende der Diskussion so: »Herr Eichmann, ich kann nicht glauben, daß sie 450 Engel an ihrer Schule haben.« Dirk Wildt