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Finanzchaos — Bund und Länder im Streit

Der Bundesrat wird am Freitag das Steuerpaket der Bundesregierung stoppen/ Kosten der Einheit wirbeln Deutschlands labiles Steuersystem durcheinander/ Eine grundlegende Reform muß her — doch keiner traut sich an sie heran  ■ Von Florian Marten

Die Bundesregierung wird morgen früh mit einem dicken, fetten Steuerpaket vor den Bundesrat treten. Die Mehrwertsteuer soll rauf (von 14 auf 15 Prozent), Kindergeld und Kinderfreibeträge sollen erhöht, die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft, Vermögens- und Gewerbeertragssteuer kräftig gesenkt werden.

Die SPD-Bundesländer, im Bundesrat in der Mehrheit, halten von dem Gesetzespaket nichts, auch die neuen Länder monieren das eine oder andere Detail. So wird es morgen, wenn Bundesregierung und Bundesländer verbal aufeinanderprallen, einen Austausch altbekannter Schlagworte geben. Die Bundesregierung wird über die Kosten der Einheit, die Golfkriegs-Milliarden und Boris Jelzins leere Taschen jammern, die SPD wird tönen, die vom Bund vorgeschlagene Mehrwertsteuererhöhung sei unsozial, und die Senkung der Vermögenssteuer passe nun einmal überhaupt nicht in die politische Landschaft.

Die SPD wird als Alternative vorschlagen, den auslaufenden Solidarzuschlag auf die Lohn- und Einkommenssteuer in einen Zuschlag für Höherverdienende (60.000 brutto bei Ledigen) umzuwandeln und auch die Länder an diesem Segen teilhaben zu lassen. Die neuen Länder werden westliche Solidarität einklagen und verlangen, daß der „Fonds Deutsche Einheit“ bis 1995 auf dem 35-Milliarden-Mark-Niveau des Jahres 1991 bleibt, statt schrittweise abzuschmelzen. Nur die schwarzen westlichen Bastionen Bayern und Baden-Württemberg werden der Regierung die Treue halten.

Bund nutzte Einheit für gewaltigen Fischzug

Wenn sich der Pulverdampf der Debatte verzieht, wird getreu dem allen Mitspielern bereits vorher bekannten Drehbuch weitergemacht: Der Bundesrat wird nein sagen, die Bundesregierung wird den Vermittlungsausschuß anrufen. Dort geht es dann am 9. und 10.Dezember wirklich um die Sache, sprich ums Geld. Im Bundesfinanzministerium und in den Finanzbehörden der Länder wird bereits fleißig an Verhandlungsstrategien und Rückzugslinien Marke „äußerster Kompromiß“ gebastelt.

Die Bundesländer fühlen sich stark — sie haben gute Sachargumente auf ihrer Seite, auch wenn es der Bundesregierung bislang gelungen ist, die öffentliche Meinung demagogisch geschickt auf ihre Seite zu ziehen. Lüge Nummer eins: Der Bund trägt die Lasten der Einheit fast alleine, schaufelt allein 1991 mehr als 100 Milliarden Mark in den notleidenden Osten. Lüge Nummer zwei: Die westlichen Bundesländer lassen die Oststaaten am ausgestreckten Arm verhungern, stahlen sich bequem aus der Verantwortung.

Die Wahrheit ist, das bestreitet auch im Bundesfinanzministerium niemand, anders. Der Bund hat die Einheit nämlich zu einem gewaltigen Fischzug genutzt, bei dem er seine dominante Stellung in der Steuergesetzgebung schamlos ausnutzte: Bonn verordnete Steuererhöhungen, die allein in die Bundeskasse fließen (Solidaritätszuschlag Ost, Mineralöl- und Heizölsteuer, Versicherungssteuer...), während es jetzt Steuersenkungen plant, die vorwiegend von den Ländern bezahlt werden. Allein die Senkung der Vermögenssteuer wird den Landesetat Nordrhein-Westfalens mit 1,8 Milliarden Mark pro Jahr belasten, die Hamburger Stadtkasse ist mit 500 Millionen dabei — fast vier Prozent des gesamten Stadthaushaltes. Bei einer realistischen Betrachtung der Einheitslasten zeigt sich, daß der Bund, der allein auch vom Wegfall der Kosten der Trennung profitiert, 30 bis 50 Milliarden Mark trägt, die Länder mit 25 bis 30 Milliarden Mark mit von der Partie sind — pro Jahr, versteht sich. Dabei ist noch nicht einmal berücksichtigt, daß Länder und Gemeinden auch die Last der Zuwanderung tragen — Sozialhilfe, Wohnungsbau, Infrastrukturinvestitionen.

Bonn ist unverändert dabei, seinen Kuchen am gesamten Staatstopf auf Kosten von Ländern, Städten und Gemeinden zu vergrößern. Das treibt auch die Ostländer tendenziell an die Seite der SPD-Länder. Ohne eine ausreichende, verläßliche und dauerhafte Finanzausstattung, so wissen die Kassenwarte der Länder, wird die politische Arbeit der nächsten Jahre ein fürchterlicher Nervkram. Finanzexperten weisen darauf hin, daß die allgemeine politische Entwicklung (Verschärfung kommunaler Probleme, Europa der Regionen) eigentlich eine nachhaltige Verlagerung zentraler Kassen auf die regionale und kommunale Ebene verlangt.

Finanzpraktiker fordern deshalb verstärkt eine Zusammenführung von „Gesetzgebungskompetenz“ und „Zahlungskompetenz“. Sprich: Derjenige, der zahlt, soll auch die dafür erforderlichen Steuern erheben können. Davon ist die Bundesrepublik weiter entfernt denn je. Länder und Gemeinden haben so gut wie keine eigenen Steuern, keine Steuerhoheit. Sie hängen am Verteilungstropf. Die ergiebigsten Infusionsbehälter, die Mehrwertsteuer sowie die Lohn- und Einkommenssteuer, werden zwar zwischen Bonn und den Ländern aufgeteilt — aber zentral festgelegt.

Wie widersinnig das ist, macht die aktuelle Diskussion um die Finanzierung lokaler und regionaler Verkehrsinvestitionen deutlich: Öffentlicher Nahverkehr, das fordert inzwischen selbst die Automobilindustrie, soll in diesem Jahrzehnt massiv ausgebaut werden. Der ist bislang Sache von Ländern und Gemeinden, wird jedoch vom Bund in komplizierter Mischfinanzierung (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz) und durch die Bundesbahnverluste im Nahverkehr (insbesondere bei der S- Bahn) mitgetragen. Diese Konstruktion bräche unter einer echten Nahverkehrsoffensive aber total zusammen. Kein Wunder, daß in den sonst so konträren Bundesländern Baden- Württemberg und Hamburg ernsthaft über die verfassungsrechtlich problematische Einführung einer Nahverkehrsabgabe nachgedacht wird, die nichts anderes wäre als eine verkappte Nahverkehrssteuer.

Der aktuelle Steuerstreit zwischen Bund und Ländern wird diese grundsätzlichen Probleme nicht lösen. Im Vermittlungausschuß zwischen Bundesregierung und Bundesrat Anfang Dezember wird ein wüstes Gefeilsche vor und hinter den Kulissen stattfinden, dessen Ausgang den Beteiligten noch erheblich unklarer ist als sonst.

So gilt beispielsweise keineswegs als sicher, daß die Bundesregierung ihre Mehrwertsteuererhöhung durchbekommen wird. Sicher scheint nur eins: Es wird wie im Basar zugehen. Am Schluß werden alle Finanzminister mit einem hellblauen Auge davongekommen sein, sich klammheimlich auf die Schulter klopfen. Man wird sich freuen, für den nächsten Clinch noch alle Optionen offen zu haben. Die überfällige Reform des deutschen Steuergefüges dagegen — sie dürfte wieder einmal ein Stück weiter in die Zukunft gerückt sein.

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