: Rätselhafter Brief im Panzerschrank
■ Kurz vor der Befragung Stavenhagens im Schalck-Ausschuß taucht plötzlich ein entlastender Brief auf
Bonn (taz) — Für Bundesjustizminister Klaus Kinkel stand zu keiner Zeit die Frage einer Straffreiheit für den Ex-DDR-Devisenagenten Alexander Schalck-Golodkowski zur Debatte. Dies erklärte der Minister gestern vor dem Schalck-Untersuchungsausschuß des Bundestages. Zuvor hatte der Staatssekretär im Innenministerium Hans Neusel ausgesagt, die von Schalck als Gegenleistung für seine Plauderstündchen beim Bundesnachrichtendienst (BND) gewünschte Straffreiheitszusage sei auf Regierungsebene lediglich angesprochen worden. Einen internen BND-Vermerk über eine Besprechung im Kanzleramt, in dem von einer „begrenzten Straffreiheitsformel“ die Rede ist, konnte Neusel „nicht ganz nachvollziehen“.
Angesprochen auf die schleppende Aufarbeitung der DDR-Regierungskriminalität durch die Justizbehörden, räumte Kinkel „große Probleme“ ein. Er bedauerte, daß die neuen Bundesländer seinen Vorschlag einer zentralen Ermittlungsstelle für die DDR-Regierungskriminalität nach dem Vorbild der Zentralstelle zur Verfolgung von Naziverbrechen abgelehnt hätten.
Aufsehen im Ausschuß erregte ein Brief des Abteilungsleiters im Kanzleramt Hermann Jung an den Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, Horst Eylmann. Jung korrigiert darin seine frühere Aussage bezüglich eines Briefes des damaligen BND-Präsidenten Hans- Georg Wieck vom 28. März 1990 an den Staatsminister im Kanzleramt Lutz Stavenhagen. In dem fraglichen Schreiben des BND-Chefs ist von den umstrittenen Deckpapieren für Schalck die Rede. Der Ausschuß bemüht sich seit längerem zu klären, seit wann genau Stavenhagen von diesen Deckpapieren wußte. Abteilungsleiter Jung hatte ausgesagt, das BND-Schreiben vom 28.3.90 sei ihm seinerzeit nicht zugegangen und daher unbekannt. Diese Aussage nahm Jung nun zurück, da „bei einer jetzt vorgenommenen erneuten intensiven Nachsuche“ das Papier in seinem eigenen Panzerschrank plötzlich wieder auftauchte. Es muß ihm, so teilte Jung mit, also damals vorgelegt worden sein. Er habe den BND-Brief allerdings im Panzerschrank abgelegt, „ohne vom Inhalt Kenntnis genommen zu haben“. Folglich sei er auch Minister Stavenhagen „nicht zur Kenntnis gebracht worden“. Im Flur-Gespräch meldeten Abgeordnete Zweifel an dieser Version an. Erstens scheint es unglaubwürdig, daß der Beamte ein BND-Schreiben von solcher Brisanz in seinem Tresor verstaut, ohne es vorher zu lesen. Zweitens hat Stavenhagen selbst bereits eingeräumt, er habe am 28.3.90 von den falschen Papieren für Schalck erfahren. Der BND-Brief tauchte in der Kruschelkiste des Kanzleramtes just eine Woche vor der mit Spannung erwarteten Vernehmung Stavenhagens auf. thosch
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